Lernen fürs Leben
Rund 55 Personen, etwa 35 diabetische Kinder und Jugendliche sowie 20 Betreuende, verbringen jeden Sommer zwei Wochen miteinander in einem Lagerhaus irgendwo in der Schweiz. Das Einzige, was sie teilen, ist Diabetes mellitus Typ 1 – und einen Riesenspass! Das Berner Diabetikerlager ist ein unbeschreibliches Erlebnis.
Bei der Autoimmunerkrankung Diabetes mellitus Typ 1, auch Zuckerkrankheit genannt, kann die Bauchspeicheldrüse das lebensnotwendige Insulin nicht mehr produzieren. Deshalb muss es von aussen durch Injektionen oder eine Insulinpumpe zugeführt werden. Kohlenhydrate in der Nahrung erhöhen den Blutzucker, weshalb diese mit der richtigen Menge an Insulin abgedeckt werden müssen. Dies und vieles mehr kann im Berner Diabetikerlager «DiaLa» praktisch erlernt werden.
Für alles gewappnet
Die rund 35 Teilnehmenden des Lagers sind zwischen 7 und 16 Jahre alt und kommen aus der gesamten Schweiz. Betreut werden sie von einem engagierten Leitungsteam, das optimal auf ihre medizinischen Bedürfnisse spezialisiert ist. Der Küchentrupp ist ein wichtiger Teil davon und wird von Ernährungsberaterinnen und Ernährungsberatern geleitet. Unterstützt werden diese von sogenannten «Küchentigern». Das sind ehemalige Teilnehmende, die ihr erstes Jahr als Leitende in der Lagerküche verbringen. Die Kohlenhydrate werden bei jeder Mahlzeit genau im Auge behalten, jede Portion wird auf persönlichen Tellern mit einer individuell abgewogenen Menge an Kohlenhydraten serviert. Nur so bleibt der Blutzucker im grünen Bereich.
Alle sind im gleichen Boot
und niemand steht mit seiner
Erkrankung allein da.
Auch ein Medizinteam ist in jedem Lager mit an Bord. Dieses setzt sich aus einer Diabetologin oder einem Diabetologen sowie weiteren Fachpersonen zusammen, die genau über die verschiedensten Therapiemöglichkeiten und das aktuelle medizinische Material Bescheid wissen. Vor jeder Mahlzeit messen alle ihren Blutzucker. Anschliessend wird mit der Ärztin oder dem Arzt besprochen, wie viel Insulin für das bevorstehende Menü unter den aktuellen Umständen abgegeben werden soll. Schliesslich wird der Blutzucker auch von sportlicher Aktivität und vielen anderen Faktoren beeinflusst. Dieses sogenannte «Verordnen» bietet den Teilnehmenden die Gelegenheit, wertvolle Tipps und Tricks zu sammeln und das Management des eigenen Blutzuckers unter fachlicher Aufsicht zu üben. Einen hohen Sicherheitsstandard garantieren auch die regelmässigen nächtlichen Blutzuckermessungen der jungen Diabetikerinnen und Diabetiker.
Ein gigantischer Erfahrungsfundus kommt auch durch das restliche Leitungsteam zusammen. Diese haben in den allermeisten Fällen selbst Diabetes und werden bei entsprechendem Alter aus den Teilnehmenden rekrutiert. Die Leitenden arbeiten mit unermüdlichem Engagement und riesiger Motivation Hand in Hand; hier kann man sich blind aufeinander verlassen. Die Hauptleitung obliegt zwei Personen, die die Koordination zwischen Küchen-, Medizin- und Leitungsteam übernehmen. Durch ihre Arbeit während des ganzen Jahres wird aus allen Einzelteilen ein Ganzes. Auch suchen sie Lagerhäuser, organisieren An- und Abreise, stehen im Kontakt mit den Eltern der Teilnehmenden und arbeiten mit der Berner Diabetesstiftung zusammen, die das DiaLa finanziert.
Magische Momente
Wer ins Berner DiaLa kommt, taucht von der ersten Sekunde an in eine Parallelwelt ein. Nach der Taufe der Lagerneulinge haben alle einen ganz persönlichen Lagernamen. Von nun an sind alle ein einziges Team, das zusammen durch dick und dünn geht. Und das ist auch nötig: Je nach Lagerthema begegnen den Kindern und Jugendlichen verschiedene fiktive Figuren – teils auch äusserst zwielichtige Gestalten. In sportlichen Wettkämpfen wird trainiert, wie sich die Teilnehmenden jeder Gefahr stellen können. Um das letzte noch lebende Exemplar eines Yetis zu retten, wandern zum Beispiel alle bis zum Aletschgletscher hinauf und nach erfolgreicher Heimkehr der liebgewonnenen Aliens wird in der Disco ausgelassen gefeiert. Es werden thematisch passende Kostüme gebastelt, Bäche gestaut oder ganze Wälder unsicher gemacht. Und wenn man eines Morgens im Mittelalter aufwacht oder den Tag mit dem Abend beginnt und die Zeit rückwärts abläuft, hält das niemanden davon ab, trotzdem noch verzwickte Mordfälle aufzulösen. Derartige Erlebnisse schweissen zusammen und machen die Gruppe unzertrennlich.
Das spannende Lagerthema und diverse Aktivitäten wie Sport, Basteln, Rätsel lösen, Playback-Shows vorbereiten und dergleichen sind nur ein Teil des DiaLas. Durch das unterschiedliche Alter der Teilnehmenden können die jüngeren Kinder auch viel von den älteren Kameradinnen und Kameraden lernen: sei es beim Ausüben der Ämtli wie Abwaschen oder Wischen, beim Aufstellen der Zelte oder Entfachen eines Lagerfeuers auf der Zweitageswanderung oder bei den Vorbereitungen auf Theateraufführungen oder die Disco. Wer Leiterin oder Leiter wird, lernt Verantwortung zu übernehmen und verschiedene Dinge zu organisieren. Auch das gemeinsame Auf-die-Beine-Stellen eines solchen Lagers verbindet. Über die Jahre entstehen so wertvolle Freundschaften, die auch das ganze Jahr über gepflegt werden.
In guten Händen
Gerade für junge Kinder mit Diabetes und deren Eltern ist das DiaLa eine riesige Chance. Es kann nämlich für die Eltern sehr herausfordernd sein, einen Ort zu finden, wo der diabetische Nachwuchs einige Tage im Jahr woanders als zu Hause verbringen kann. Schliesslich benötigt das Diabetesmanagement viel Wissen und Erfahrung und kann nicht jeder Person anvertraut werden. Beim DiaLa ist das anders: Die Eltern können ihre Kinder guten Gewissens für zwei Wochen in die Obhut der Leitenden und des Medizinteams geben, ohne sich Sorgen um deren Gesundheit machen zu müssen. Das ist nicht nur eine temporäre enorme Entlastung für die Eltern, die ihre chronisch kranken Kinder sonst immer rund um die Uhr betreuen müssen, sondern auch super für die Lagerteilnehmenden. Während des Lagers können die Kinder, ganz unauffällig und nebenbei, unendlich viel lernen. Das selbstständige Legen von Sensoren und Kathetern und die Injektionen mit dem Insulinpen laufen selbst bei den Jüngsten schon bald beinahe von allein. Etwas ältere Kinder wissen nach zwei Wochen, auf was sie bei der Berechnung der korrekten Insulinmenge achten müssen und wie sie am besten auf zu hohe oder zu tiefe Blutzuckerwerte reagieren.
Das Wertvollste am Berner DiaLa sind wahrscheinlich aber die Bekanntschaften, die hier gemacht werden. Hieraus ist schon so manche Freundschaft fürs Leben entstanden. Natürlich bleibt jeder und jedem die geniale Zeit im DiaLa in guter Erinnerung, aber auch die Erkenntnis, dass man mit der Erkrankung nicht allein dasteht und dass andere es auch schaffen, damit umzugehen. Vor allem kann hier aber jede und jeder erkennen, dass Leute mit Diabetes ganz normale Menschen sind. Hier lässt sich niemand von seiner «Krankheit» einschränken und hat im Leben genauso viel Spass wie alle anderen. Während zwei Wochen im Jahr sogar noch etwas mehr … ‹