Erschöpfung

Wenn Erholung nicht mehr ausreicht

Autor: SUSANNA STEIMER MILLER

Wer sehr hohe Leistungsansprüche an sich stellt, hat ein erhöhtes Risiko für ein Burn-out. Doch eine chronische Erschöpfung ist kein unabwendbares Schicksal.

Menschen, die ihre Leistungsgrenze immer wieder überschreiten, sind besonders häufig von einem Burn-out betroffen. Laut Prof. Josef Jenewein, Ärztlicher Direktor der Privatklinik Hohenegg in Meilen, gehören zum Beispiel Manager in Führungspositionen mit leistungsabhängigem Einkommen dazu. «Aber auch Ärztinnen und Ärzte, Lehrerinnen und Lehrer sowie Mütter können eine Erschöpfung entwickeln», ergänzt der Psychiater. «Für viele Mütter ist es eine Herausforderung, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen.» Oft erkranken jene Menschen, die denken, alles schaffen zu müssen.

«Die Balance zwischen
Anstrengung und Erholung
ist entscheidend, um einem
Burn-out vorzubeugen.»

Prof. Josef Jenewein

Ursachen von Erschöpfung

Nach Josef Jenewein könne eine Erschöpfung sowohl körperliche als auch psychische Ursachen haben. So könne eine körperliche Erkrankung wie zum Beispiel eine chronisch-entzündliche Erkrankung, Krebs oder die Behandlung von Krebs zur Erschöpfung führen. Häufig würden aber geistig-mentale Gründe hinter einer Erschöpfung stecken.

Die Symptome eines Burn-outs

Viele Burn-out-Betroffene leiden an Müdigkeit und zwar sowohl körperlich als auch geistig. Ihnen fällt es schwer, sich zu konzentrieren. Josef Jenewein erklärt: «Häufig müssen Menschen mit einem Burn-out einen Zeitungsartikel zweimal lesen, um ihn zu verstehen und können sich nichts merken. Die Müdigkeit verschwindet auch nicht, wenn sie ausreichend schlafen oder sich ausruhen.»

Nicht selten wird ein Burn-out von körperlichen Beschwerden begleitet. Das können diffuse Schmerzen, Rücken- oder Kopfschmerzen, Verdauungsprobleme oder schwere Beine sein. Wenn Betroffene zudem Lust- und Freudlosigkeit verspüren und ihnen der Antrieb fehlt, kann zusätzlich eine Depression vorliegen.

Erschöpfung oder Burn-out

Die beiden Begriffe werden häufig gleichgesetzt. Gemäss Josef Jenewein sei die Erschöpfung jedoch ein typisches Symptom des Burn-outs. Charakteristisch für ein Burn-out ist zudem eine emotionale Distanziertheit und Leistungsreduktion. Von Burn-out spricht man, wenn die Erschöpfung in Zusammenhang mit Berufsstress steht. Der Fachmann sagt: «Betroffene haben mal für ihren Job gebrannt, sich besonders stark engagiert und übermässig viel geleistet, ohne dabei ihre Grenzen zu erkennen. In unserer Klinik lernen sie, wo ihre gesunden Grenzen sind.»

Erschöpfung und Schlafstörungen

Zwischen einer Erschöpfung und Schlafstörungen gibt es eine Wechselwirkung. Schlafstörungen können zu einer Erschöpfung führen. Ein Burn-out beginnt oft mit Schlafstörungen. Wer erschöpft ist, verändert oft sein Schlafverhalten und legt sich auch mal tagsüber hin. Welche Folgen das haben kann, erklärt Josef Jenewein so: «Durch den Tagesschlaf kann der Schlafdruck tagsüber nicht aufgebaut werden, so dass man in der Nacht nicht richtig schlafen kann. Wer erschöpft ist, muss wieder in einen geregelten Schlafrhythmus finden.»

Handynutzung und das Risiko für Erschöpfung

Ob das Handy und die Nutzung sozialer Medien das Risiko für ein Burn-out erhöhen, ist umstritten. Josef Jenewein sagt dazu: «Wenn jemand den Konsum nicht im Griff hat und das Posten auf Social Media zur Sucht wird, kann dies dazu führen, dass man weniger Zeit fürs Schlafen oder andere Tätigkeiten hat.» Eine vernünftige Nutzung der sozialen Medien und des Mobiltelefons führen laut dem Experten jedoch nicht zur Erschöpfung. Letztlich gehe es immer um die Balance zwischen Anstrengung und Erholung.

Umgang mit Stress

Ob Stress als positiv oder negativ empfunden wird, ist eine Frage der persönlichen Bewertung und hängt von den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten ab. Josef Jenewein erklärt dies anhand eines Beispiels: «Für gute Schwimmer ist es kein Stress, zwei Kilometer am Stück zu schwimmen. Für schlechte Schwimmer kann schon ein Kilometer ein Stress sein. Das gleiche gilt auch für die Arbeit. Für die einen ist ein Zehn-Stunden-Arbeitstag kein Problem, für andere schon. Wichtig ist, die individuellen Fähigkeiten und Grenzen zu erkennen.»

Werden die Grenzen der Leistungsfähigkeit überschritten, empfiehlt der Psychiater, das Engagement zu reduzieren oder sich Hilfe zu holen: «Das rate ich speziell auch Eltern, an die heute sehr hohe Anforderungen gestellt werden. Sie sollten Verwandte und Freunde frühzeitig um Hilfe bitten oder die berufliche Belastung anpassen.» Vielen Eltern falle dies schwer, weil sie sich so ihre Überforderung eingestehen müssen.

Professionelle Hilfe bei Erschöpfung

Josef Jenewein empfiehlt, sich an eine Fachperson zu wenden, wenn das Wochenende nicht mehr ausreicht, um sich zu erholen, und man sich am Montagmorgen so erschöpft fühlt wie am Freitagabend, wenn Schlafstörungen länger als drei Wochen andauern, man ständig gereizt ist, keine Freude mehr empfindet oder denkt, dass alles keinen Sinn mehr hat.

Schutzmassnahmen

Um einem Burn-out vorzubeugen, ist es laut Josef Jenewein wichtig, auf die Balance zwischen Anforderungen und Erholung zu achten. Schützend wirken Sport wie zum Beispiel Yoga oder Joggen, die Pflege von sozialen Kontakten und Hobbys. Ideal ist zum Beispiel, wenn man zweimal in der Woche Sport treibt, einmal ins Kino oder Theater geht und einmal mit Freunden etwas unternimmt. Josef Jenewein rät: «Menschen, die im Job unter hohem Druck stehen, sollten nicht anfangen, Verabredungen abzusagen und auf Sport zu verzichten. Hilfreich sind strikte Regeln, die man sich selbst auferlegt, wie zum Beispiel ‹ab 20 Uhr höre ich auf zu arbeiten, egal, was passiert›.» Für die Gesundheit müsse man etwas tun, sie sei nicht einfach gegeben.

Susanna Steimer Miller ist freischaffende Journalistin und Kommunikationsberaterin. Sie schreibt über Themen im Bereich Gesundheit, Ernährung, Kinder und Haustiere. Ausserdem betreibt sie die dreisprachige Elternplattform www.baby-und-kleinkind.ch.

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