Das Interview

Immer mehr Demenzerkrankungen

Autor: STEFAN MÜLLER

Demenz wird immer häufiger diagnostiziert. Warum das so ist, erklärt Irene Lagger, Fachberaterin Demenz bei Alzheimer Schweiz.

«Eine frühe Diagnose hilft entscheidend für den Erhalt der Lebensqualität.»

Irene Lagger, Fachberaterin Demenz bei Alzheimer Schweiz

Frau Lagger, wie verbreitet ist die «Demenz»?

Aktuell leben rund 156 900 Menschen mit Demenz in der Schweiz. Jährlich kommt es zu 33 800 Neuerkrankungen. Die meisten erkranken nach dem 65. Lebensjahr.

Warum ist die Krankheit heute so häufig?

Der Anstieg an Krankheitsfällen hat mit der starken Bevölkerungszunahme zu tun. Immer mehr Menschen erreichen zudem ein höheres Alter, was als grösster Risikofaktor für Demenzerkrankungen gilt. Die Diagnostik verbessert sich laufend und die Diagnosen werden dadurch früher und präziser gestellt. Auch ein ungesunder Lebensstil kann das Erkrankungsrisiko beeinflussen. Insbesondere Bewegungsmangel, Übergewicht, übermässiger Alkoholkonsum und damit verbundene Erkrankungen wie Bluthochdruck und Diabetes können das Risiko für Demenz erhöhen.

Wie erkenne ich frühe Demenzsymptome?

Bei einer beginnenden Demenzerkrankung ist typischerweise das Gedächtnis betroffen: Die Erkrankten vergessen wichtige Ereignisse und stellen mehrmals die gleiche Frage. Meist ist früher oder später auch die Sprache beeinträchtigt: Die Betroffenen haben Wortfindungsstörungen und verwechseln Wörter. Es fällt ihnen zunehmend schwer, Gesprächen zu folgen und zu verstehen, was man ihnen sagt. Mit der Zeit sprechen die Betroffenen immer weniger, bis sie in einer späten Krankheitsphase oft ganz verstummen. Hinzu kommen Orientierungsprobleme und Stimmungsschwankungen. Die Verläufe sind sehr unterschiedlich.

Gibt es andere Gründe, weshalb sich das Gedächtnis verschlechtern kann?

Ja. Im Verlauf des normalen Alterungsprozesses lässt die Aufmerksamkeitsfähigkeit allmählich nach. Gesundheitliche Faktoren wie Schlafstörungen, Depressionen, Zuckerkrankheit, hoher Blutdruck oder Nebenwirkungen von Medikamenten können auch Ursache einer Verschlechterung des Gedächtnisses sein. Eine frühzeitige Diagnose hilft dabei, zwischen Demenz und anderen behandelbaren Ursachen für Gedächtnisprobleme zu unterscheiden. Sie erleichtert auch den Umgang im Alltag durch das Anpassen des Umfelds. Ausserdem können Behandlungen früher einsetzen und so den Krankheitsverlauf einiger Demenzformen verlangsamen. Eine frühe Diagnose hilft damit entscheidend für den Erhalt der Lebensqualität und um die nötige Vorsorge zu treffen wie etwa Unterstützung, Vorsorgeauftrag, Patientenverfügung oder Finanzielles zu regeln.

Wie behandelt man heute Demenz?

Die Behandlung ist komplex, da sie immer auf die individuelle Situation abgestimmt sein muss. Zur Behandlung einiger Demenzarten – insbesondere zur Behandlung von Alzheimer – stehen heute Cholinesterase-Hemmer und Memantin zur Verfügung, sogenannte Antidementiva. Sie können die Hirnleistung vorübergehend verbessern, stabilisieren oder eine Verschlechterung hinauszögern. Sie mildern darüber hinaus neuropsychiatrische Symptome wie etwa Unruhe, Gereiztheit oder Apathie. Das verbessert nicht nur das Befinden des Demenzkranken, sondern auch das Zusammenleben mit diesen. Die Krankheit aufhalten oder gar heilen können sie jedoch nicht.

Die neuesten Behandlungsempfehlungen messen den nichtmedikamentösen Interventionen wie beispielsweise Gedächtnistraining, Ergotherapie, Aktivierung wie auch Kunsttherapie, Musik oder Tanzen eine grosse Bedeutung zu.

Damit sich die Krankheit weniger schnell entwickelt, sind verschiedene Ansätze gefragt, die die noch vorhandenen Fähigkeiten unterstützen. Je vielfältiger die Ansätze, desto hilfreicher: gesunde Ernährung, soziale Kontakte, ausreichend Bewegung und genügend Schlaf. All dies zusammen kann den Verlauf positiv beeinflussen.

Wie unterstützt man Betroffene im Alltag?

Eine Diagnose ist für die Erkrankten und ihre Angehörigen ein Schock und zunächst oft mit Verunsicherung und Ängsten verbunden. Da ist es wichtig, diese zu ermuntern, sich Hilfe zu holen. Schaffen es die Betroffenen und ihr Umfeld die Krankheit zu akzeptieren und Vorkehrungen für die Zukunft zu treffen, kann dies das Wohlbefinden aller Beteiligten verbessern. Das Zusammenleben mit Erkrankten erleichtert sich auch, wenn man mit ihnen respektvoll und geduldig umgeht und ihnen ein sicheres und unterstützendes Umfeld bietet.

Umgang mit Demenzerkrankten

Wichtig ist, dass man mit Demenzkrankten respektvoll und geduldig umgeht.
Weitere Infos

Alzheimer-Schweiz: www.alzheimer-schweiz.ch

Alzheimer-Telefon (auch anonym): Tel. 058 058 80 00

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