Auf den Fersen der höchsten Apothekerin
Schweizerischer Apothekerverband
Autor: DENIS JEITZINER, SCHWEIZERISCHER APOTHEKERVERBAND PHARMASUISSE
Für Martine Ruggli sollte der Tag viel mehr als nur 24 Stunden haben. Wir holen die engagierte Präsidentin des Schweizerischen Apothekerverbands pharmaSuisse von ihrem Zuhause am Genfersee ab und begleiten sie bis in den frühen Nachmittag durch ihren Alltag.
Was tun, wenn man mit dem Zeitplan von Martine Ruggli mithalten will? Ihr Wohnort liegt eineinhalb Stunden von ihrem Arbeitsort Bern entfernt. Wer sie begleiten will, muss früh aufstehen.
Morgens um 6.00 Uhr – Regionalzug nach Morges: Martine Ruggli winkt uns schon von weitem auf dem Perron zu. Hier und jetzt beginnt der Arbeitstag der Präsidentin. Sie strahlt, erzählt von ihrem heutigen Tagesprogramm, schwärmt von ihrer Arbeit und strotzt vor Energie, während wir noch quasi wortlos an unserem doppelten Espresso herumnippen und lauschen.
Die höchste Apothekerin der Schweiz pendelt mehrmals wöchentlich vom Genfersee nach Bern-Liebefeld. Im Zug kann sie sich entspannen, Mails beantworten, telefonieren und sich auf einen meist sehr ereignisreichen Tag vorbereiten. «Ich geniesse die Ruhe, die Aussicht und besonders die Zeit der Inspiration, wenn die Landschaften an mir vorbeiziehen; hier zeichne ich die Strukturen meines Arbeitstages.»
Halb sieben. Von Morges aus hat Ruggli eine direkte Verbindung bis nach Bern. «Ich bin extrem viel unterwegs; weil ich mich täglich für Tausende von Mitarbeitenden in den über 1800 Apotheken aus der ganzen Schweiz einsetze – und sie aktiv repräsentiere. Mir liegt meine Botschafterinnenrolle am Herzen.» Als Präsidentin hat sie eine Drehscheibenfunktion zwischen den Apothekerinnen und Apothekern und der Politik, den Versicherungen, den anderen Leistungserbringern, den Verbänden und auch den Behörden. «Diese Netzwerkfunktion ist wesentlich. Zum Glück bin ich in dieser Arbeit nicht allein und kann auf grosse Unterstützung zählen – seitens des Verbandsvorstands und der rund 70 Mitarbeitenden der Geschäftsstelle.»
Ruggli ist eine energiegeladene, hellwache Persönlichkeit. Sie wollte ursprünglich Ärztin werden, entschied sich aber kurzfristig fürs Pharmaziestudium. «Ich habe es bis heute nie bereut. Die Pharmazie ist äusserst vielfältig und ich fühle mich genau am richtigen Ort. Schliesslich möchte ich noch einiges bewirken – zum Beispiel, dass die Apotheken in unserem Gesundheitssystem besser eingesetzt werden – wir haben die Kompetenzen, wir sind niederschwellig erreichbar und es ist wichtig, dass die Bevölkerung noch mehr davon profitieren kann.»
Kurz vor Palézieux: Hier ganz in der Nähe ist Martine Ruggli aufgewachsen – in Châtel St. Denis. Ihr Vater war Tierarzt, ihre Mutter half ihrem Mann in der Praxis und wurde später Nationalrätin. «Wir durften schon früh im elterlichen Betrieb mithelfen und Verantwortung übernehmen.» Etwas, was sie bis heute gerne tut. «Wir müssen uns als Apothekerinnen und Apotheker immer wieder neu erfinden, Mut zeigen und Themen neu denken – und die Apotheken befähigen, selbst aktiv zu werden.»
Seit 2021 steht sie an der Spitze des Schweizerischen Apothekerverbands. «Die Branche ist extrem spannend. Wir haben viele Themen und Pläne, die Materie ist komplex und anstrengend. Aber ich spüre, dass alle am gleichen Strick ziehen, und geniesse gleichzeitig grosses Vertrauen. Die Anliegen unserer Mitglieder sind für mich eine Herzensangelegenheit.» Ruggli will den Apotheken den Weg ebnen, dass sie auch in Zukunft nicht nur besser wahrgenommen, sondern auch eine starke Position einnehmen können, da die Politik ihnen auch mehr Verantwortung übergeben hat.
Eigentlich ist Martine Ruggli mehr Familienmensch als Karrierefrau. «Ich bin in diese Rolle reingerutscht», sagt sie. Ein grosser Vorteil ist ihre perfekte Zweisprachigkeit. Sie gilt auch innerhalb der Branche als Vermittlerin zwischen den Sprachfronten. «Ich habe während meines Studiums ein Praktikum in einer Apotheke in Bern gemacht und bin dort nach meiner Ausbildung geblieben. Da habe ich gelernt, Dialekt nicht nur zu verstehen, sondern auch zu sprechen. Das kommt mir heute sehr zugute.»
Draussen wird es hell und am Horizont erheben sich die ersten Sonnenstrahlen über den Berner Alpen. Martine Ruggli blinzelt in die Sonne und geniesst den kurzen Moment des Naturspektakels. Jetzt spricht sie von Mut und Visionen. «Trotz Fachkräftemangel, finanziellem Druck und Lieferengpässen sehe ich für die Apotheken viele gute Chancen, sich in ihrer eigenen Rolle zu entfalten. Die Menschen in diesem Beruf sind sehr engagiert, identifizieren sich mit ihrem Fachgeschäft», analysiert sie zuversichtlich. Und fährt fort: «Wir müssen uns noch besser vernetzen, uns austauschen und gegenseitig unterstützen. Wir sehen uns dabei als Partner im Gesundheitswesen, als Medikamentenspezialistinnen und -spezialisten und wollen allen Leistungserbringern zur Seite stehen.»
Die zahlreichen Belastungen stressen Martine Ruggli nicht. Sie sagt, dass sie Zeit finde für ihre Familie und Freunde. «Ich bringe alles relativ gut unter einen Hut. Weil mich die Abwechslung in meinen Privatleben inspiriert.»
Kurz vor 8.00 Uhr: Der Zug fährt durch die Vororte von Bern. Mit Verve und Vergnügen spricht sie weiter von ihren Plänen, wie sie die künftigen Herausforderungen des Marktes und des Verbands anpacken will: «Vielen Menschen ist nicht bewusst, was Apothekerinnen und Apotheker in der Schweiz wirklich können und leisten. In immer mehr Ländern werden Apothekerinnen und Apotheker aufgrund des Mangels an Hausärztinnen und Hausärzten vollständig in das Gesundheitssystem integriert und bieten beispielsweise Impfungen und Erstversorgungen bei häufigen Krankheiten und Gesundheitsstörungen an. Der grösste und entscheidende Unterschied zwischen der Schweiz und dem Ausland ist aber, dass bei uns die Apothekenleistungen von den Patientinnen und Patienten selbst bezahlt werden müssen, während diese in anderen Ländern von der Krankenversicherung übernommen werden. Mit der aktuellen Gesetzesrevision sollte sich dies aber auch in der Schweiz teilweise ändern.»
Eine gute Gelegenheit ist die aktuelle Kampagne «Konsultation in der Apotheke», die Martine Ruggli unterstützt. «Wir können darin unter anderem aufzeigen, dass wir sowohl die einfache wie auch die vertiefte Beratung beherrschen», argumentiert sie. «Wir wissen aber auch, dass eine Kampagne Zeit braucht, bis sie bei den Menschen ankommt – und gelebt wird.
Seit im Jahr 2019 das Heilmittelgesetz geändert wurde, dürfen Apothekerinnen und Apotheker gewisse rezeptpflichtige Medikamente auch ohne vorliegendes Arztrezept abgeben. «Das wissen leider immer noch viel zu wenig Leute», betont Martine Ruggli und fügt an: «Um die neuen Abgabekompetenzen wahrzunehmen und diese selbstbewusst im Alltag umzusetzen, war bei den Apothekerinnen und Apothekern ein neues Rollenverständnis nötig. Das bereitete den Teams in der Apotheke anfangs Schwierigkeiten und die Umsetzung nahm viel Zeit in Anspruch, zumal die Apotheken aufgrund von Personalmangel und Medikamentenengpässen unter grossem Druck standen.» Der Schweizerische Apothekerverband pharmaSuisse, wie auch die Ketten und Gruppierungen, haben aber die Apothekenteams begleitet und mit verschiedenen Hilfsmitteln unterstützt. Damit sind die Apothekerinnen und Apotheker nun bereit, die neuen Dienstleistungen proaktiver anzubieten. Rugglis Fazit: «Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um mit einer Bevölkerungskampagne und der Botschaft ‚Wir machens möglich – deine Apotheke‘ nach aussen zu treten.»
Kurz nach 8.00 Uhr erreicht Martine Ruggli die Büroräumlichkeiten in Bern-Liebefeld. Ein Plakat der aktuellen Kampagne zeigt vier Apotheken-Mitarbeitende in weissen Schürzen, die über einen Fussgängerstreifen laufen – dazu der Titel: «Alle Wege führen in die Apotheke.» Ein passendes Motto für Martine Ruggli, die nochmals betont: «Bei Gesundheitsfragen sollte die Bevölkerung an die Apotheken denken – denn sie sind professionell, verfügbar und vertrauenswürdig.»
Nach unserem Interviewtermin zieht sich Martine Ruggli zurück. Sie hat sich mit dem Generalsekretär des Verbands für einen Austausch verabredet. Schliesslich folgen ein paar Telefongespräche, Mails beantworten und der Transfer auf den Bundesplatz. Dort erfolgt zusammen mit Ärztinnen, Zahn- und Tierärzten sowie Chiropraktorinnen und Chiropraktoren die Übergabe eines Forderungskatalogs gegen den Fachkräftemangel an die Politik. «Es gibt fünf Medizinalberufe in der Schweiz; Apotheker/in ist einer davon. Wir wollen auch auf politischer Ebene wahrgenommen werden», fordert Martine Ruggli. Und schliesst mit einer Bitte an alle Apotheker/innen und Pharmaassistent/innen: «Ich zähle auf euch. Zeigt Kompetenz und weiterhin so grosses Engagement – dann bin ich überzeugt, dass wir am Ende alle die richtige Anerkennung erhalten und somit auch eine noch bessere Rolle in unserem Gesundheitssystem einnehmen können. In meiner Funktion setze ich mich nicht nur für das Wohl der Berufsleute in der Apotheke ein, sondern letztlich auch für das Wohl der Bevölkerung.»
Sagt’s und schliesst sich ihren Kolleginnen und Kollegen auf dem Bundesplatz an, um weiter mit Ihnen zu debattieren.
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