Deutsch

Angst vor dem Fliegen: Flugangst in den Griff bekommen

Sie möchten Ihre nach Übersee ausgewanderte Tochter besuchen, haben aber Angst vor dem Fliegen? Sie könnten eine spannende Arbeitsstelle antreten, doch der Gedanke an die damit verbundenen Flugreisen lässt Ihr Herz rasen? Es gibt Hilfe dagegen!

Kaum ist der Flug gebucht, beschleicht Sie ein mulmiges Gefühl. Einige Tage vor der Abreise schlafen Sie schlecht. Leichter Durchfall setzt ein. Während des Kofferpackens haben Sie einen Schweissausbruch, am Flughafen wird Ihnen übel, beim Einsteigen ins Flugzeug pocht Ihr Herz ganz wild und kurz nach dem Start haben Sie das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Sie klammern sich mit den Händen an den Sitzlehnen fest und fragen sich, warum Sie sich das antun. Horror pur. Ihre Sitznachbarn dagegen plaudern vergnügt miteinander, schauen interessiert zum Fenster raus, drehen an der Lüftung rum und studieren eingehend das Duty-free-Angebot. Sie fragen sich: «Warum kann ich nicht auch so unbeschwert im Flugzeug sitzen?»

Sie können! «Fünfundneunzig Prozent aller von Flugangst Betroffenen bekommen ihre Angstzustände in den Griff, wenn sie sich helfen lassen», sagt die Psychologin Bettina Schindler, die seit knapp zwei Jahrzehnten Einzelcoachings sowie Gruppenseminare zum Thema Flugangst am Flughafen Kloten anbietet. Auch der Psychologe Leo Hackl, der sich auf Klienten mit Angststörungen spezialisiert hat, stimmt seiner Branchenkollegin zu und fügt an, dass einer seiner Klienten, der ihn vor Jahren wegen Flugangst aufgesucht hat, später sogar das Pilotenbrevet für Kleinflugzeuge gemacht habe.

Angst ist ein Spontanphänomen

«Angst ist ein sehr altes und sinnvolles Gefühl», erklärt Bettina Schindler. Stresshormone werden ausgeschüttet, die einen Aktivierungszustand auslösen, der die Betroffenen entweder für den Kampf oder die Flucht vorbereitet. «In gefährlichen Situationen ist dies ein durchaus notwendiges Gefühl.» Flugangst jedoch lebt von negativen Bildern im Kopf und ist eine Angst, die plötzlich in einer eigentlich ungefährlichen Situation auftaucht. «Ein Spontanphänomen», wie Leo Hackl anfügt. Zu Angstzuständen kommt es ungerufen, selbsttätig, gegen den eigenen Willen und automatisch.

Zusammenspiel verschiedener Ursachen

«Fünfzehn Prozent aller Flugzeugpassagiere haben veritable, also wahrhafte Angstzustände und zwanzig Prozent fühlen sich beim Fliegen unwohl», zitiert Bettina Schindler eine Studie aus Deutschland. Dabei verunfallen im Flugverkehr statistisch gesehen weit weniger Menschen als im eigenen Haushalt oder auf den Strassen. Die Gründe für Flugangst sind unterschiedlich: Es gibt Menschen, die noch nie geflogen sind und sich generell vor Unbekanntem, vor dem Ausgeliefertsein, dem Kontrollverlust oder vor Abstürzen fürchten. Es gibt aber auch Vielflieger, die erst beim x-ten Flug, bei dem es Turbulenzen gibt, plötzlich Angst bekommen und diese fortan nicht mehr loswerden. Eine Angststörung kann in jedem Alter auftreten und ist geschlechtsunabhängig. «Oft spielen mehrere Ursachen eine Rolle», erklärt Schindler. «Wenn jemand gestresst ist, sei dies aus beruflichen Gründen oder wegen eines einschneidenden Ereignisses in der Familie, ist sie oder er angstanfälliger.» Kommt hinzu, dass die oder der Betroffene ängstliche Eltern hatte, die diese Haltung in der Erziehung weitergegeben haben oder leiden die Betroffenen unter Höhen- oder Platzangst, so könne ein Flug, bei dem es zu Turbulenzen kommt, eine Angstreaktion auslösen.

Diverse Therapiemethoden

Es gibt ganz verschiedene Therapiemethoden wie etwa Verhaltenstrainings, paradoxe Intention (siehe später) oder Hypnose. Betroffene erkundigen sich am besten bei verschiedenen Anbietern und wählen jene Form aus, die ihnen entspricht.

Angst äussert sich im Körper, in den Gedanken und im Verhalten. Psychologin Bettina Schindler gibt Ratsuchenden deshalb Hilfstechniken mit auf den Weg, mit denen sie auf allen drei Ebenen die Angst in den Griff bekommen können.

Entspannungsübungen

Langsam und tief durch die Nase in den Bauch hinein atmen, dann ganz lange durch den Mund ausatmen bis alle Luft ausgeströmt ist. Am besten doppelt so lange ausatmen wie einatmen. Neben Atemübungen werden Muskelentspannungsübungen einstudiert. Hier geht es darum, eine Muskelgruppe nach der anderen (von den Zehen bis zum Gesicht) für etwa fünf Sekunden anzuspannen und sich etwa zwanzig Sekunden lang auf die Entspannung zu konzentrieren. Unter den «Feuerwehrübungen» hat sich das «Turbulenzwippen» bewährt, um bei unruhigem Flugverhalten körperliche Verkrampfungen zu vermeiden: Die Hände locker auf die Oberschenkel legen, den Rücken leicht nach vorne beugen und so mit den Bewegungen des Flugzeugs mitgehen.

Positive Gedanken

Negative Gedanken können aktiv in positive umgewandelt werden, indem man innerlich entschieden «Stopp!» ruft, wenn solche auftauchen. Als Hilfsmittel kann man vor dem Flug ein Gummiband an einem Arm befestigen und beim «Stopp-Rufen» dieses kurz ziehen und spicken lassen. Nun sollte man bewusst an etwas anderes, Positives denken, etwa an ein «Ruhebild», das man sich vor dem Flug zurechtgelegt hat. Geeignet wären hierzu beispielsweise ein Palmenstrand, eine schöne Landschaft oder einfach eine hübsche Blume.

Verhaltensebene

Hier geht es vor allem um die Vermeidung von Stress, indem man sich für alle Flugvorbereitungen genügend Zeit nimmt und sich bewusst mit der Reise auseinandersetzt: Frühzeitig buchen, bereits zwei Wochen vor dem Flug Entspannungsübungen anwenden, einen Tag vorher packen, wenn möglich am Vorabend einchecken und sich die Tipps gegen Flugangst (siehe später) in Erinnerung rufen.

Die Gruppenseminare, die Bettina Schindler in Kloten anbietet, dauern ein Wochenende. Am Samstag führt die Psychologin ins Thema ein und übt mit den Teilnehmenden Entspannungstechniken. Ein Pilot vermittelt Wissenswertes zum Thema Fliegen und Sicherheit. Am Sonntag fliegen die acht bis zwölf Teilnehmenden gemeinsam an eine europäische Destination und nach einem kurzen Aufenthalt wieder zurück.

Sich Angst herbeiwünschen, um sie zu blockieren

Der Psychologe Leo Hackl wendet die Methode der paradoxen Intervention an. Man nennt das auch Symptomverschreibung. «Eine Methode, die schon grosse Erfolge verzeichnen konnte», wie Hackl sagt. Er fordert seine Klienten in seiner Praxis auf, ganz bewusst alle Symptome zu spüren, die Flugangst jeweils bei ihnen hervorrufen. Sie sollen sich ihre Flugangst ganz deutlich herbeiwünschen, also nicht gegen das Angstgefühl ankämpfen. Da Angst nur spontan und nicht willentlich auftreten kann, geht es bei dieser Methode etwas einfach ausgedrückt um eine Umprogrammierung der Netzwerke im Hirn. Dem Angstnetzwerk wird beigebracht, dass es nicht mehr gebraucht wird. Willentlich Angst erzeugen zu wollen, verhindere die Angst. Das sei zwar etwas kompliziert zu erklären und sei auch nur unter fachkundiger Anleitung empfehlenswert, doch Hackl hat die Erfahrung gemacht, dass seine Klienten nach zwei Sitzungen bei ihm ihre Flugangst im Griff hätten. Auf Wunsch begleitet auch er seine Klienten auf einen Flug und gibt ihnen Entspannungsübungen mit auf den Weg.
Einig sind sich die Fachleute, dass Betroffene, die erfolgreich ihre Flugangst unter Kontrolle bekommen haben, möglichst regelmässig, vielleicht einmal pro Jahr, fliegen und sich jeweils das Erlernte vor dem Flug in Erinnerung rufen sollten.

Allgemeine Tipps gegen Flugangst

  • Sitzplatz am Gang wählen (man ist weniger eingeengt).
  • Die vorderen Reihen bevorzugen (Turbulenzen sind vorne im Flugzeug weniger spürbar als hinten).
  • Bequeme Kleidung tragen.
  • Frühzeitig am Flughafen sein (Stress vermeiden).
  • Kabinenpersonal beim Einsteigen informieren.
  • Entspannungsübungen anwenden.
  • Auf Alkohol verzichten.
  • Viel Wasser trinken.
  • Bei Langstreckenflügen öfter aufstehen und herumgehen.
  • Ablenkung suchen durch Lesen, Musik hören, Film schauen, Gespräche führen.
  • In der Apotheke nach Entspannungshilfen fragen.
  • Rezeptpflichtige Beruhigungsmittel nur nach Absprache mit dem Arzt anwenden.