Anti-Aging: Ewige Jugend?
Niemand altert gerne, vor allem nicht, wenn dieser Prozess von chronischen Krankheiten überschattet wird. Im folgenden Interview erklärt der Anti-Aging-Mediziner Dr. med. John van Limburg Stirum, wie der Mensch möglichst lange gesund bleibt.
Susanna Steimer Miller
Wann treten erste Alterserscheinungen auf?
Dr. med. John van Limburg Stirum*: Bereits nach der Geburt. Die Natur hat vorgesehen, dass wir geboren werden, um gesund zu sein und unsere Gene an die nächste Generation weiterzugeben. Unsere Ahnen hatten jedoch eine Lebenserwartung von nur gerade dreissig bis vierzig Jahren. Heute ist das Durchschnittsalter doppelt so hoch und normale Alterserscheinungen zeigen sich. So nehmen die Elastizität der Haut und die Muskelmasse ab. Der Alterungsprozess hängt aber auch von beeinflussbaren Faktoren ab. Manche Menschen fühlen sich mit vierzig schon alt, andere sind mit achtzig noch fit. Alt wird man vor allem auch dann, wenn man keine Projekte mehr hat und sich nur noch an der Vergangenheit orientiert.
Warum altern die meisten Menschen nicht gerne?
Im Alter wird uns unsere Endlichkeit bewusst. Das macht den meisten Menschen Angst. Zudem setzen viele das Altern mit chronischen Krankheiten gleich. Das muss nicht sein. Zahlreiche Zivilisationserkrankungen sind vermeidbar. Der Grossteil der Menschen erwartet aber, dass ihre Gesundheit von anderen gepflegt wird. Sie gehen zum Arzt, wenn sie krank sind und lassen sich Medikamente gegen die Symptome verschreiben. Studien zeigen, dass die Menschen heute zwar alt werden, aber die Lebensqualität bereits nach vierzig stark nachlässt. Ein längeres Leben ist für manche ein längeres Sterben.
Welches Ziel verfolgt die Anti-Aging-Medizin?
Der Mensch soll möglichst langfristig gesund bleiben und eine hohe Lebensqualität geniessen. Dafür braucht der Körper optimale Bedingungen. In der Anti-Aging-Medizin geht es darum, die Chronifizierung von Krankheiten zu verhindern, indem ihre Ursachen angegangen werden. In der Standardmedizin liegt der Fokus meist auf der Behandlung, also der Unterdrückung der Symptome. Verstehen Sie mich nicht falsch, für viele schweren Erkrankungen wie zum Beispiel Krebs brauchen wir die Standardmedizin. Die Anti-Aging-Medizin erzielt jedoch bei der Prävention von Zivilisationskrankheiten sehr gute Erfolge.
Was können wir tun, um gut zu altern?
Die meisten Menschen kümmern sich erst dann um ihre Gesundheit, wenn es brennt. Ich empfehle, lieber früh zu schauen, ob Defizite oder schlechte Einflüsse eine chronische Krankheit begünstigen könnten.
Welche medizinischen Anti-Aging-Massnahmen stehen heute im Vordergrund?
Die Anti-Aging-Medizin ist ursachenorientiert und basiert auf zwei Pfeilern: Einerseits sollen schlechte Einflüsse eliminiert werden, andererseits soll Gutes zugeführt werden. Die Unterdrückung der Symptome spielt eine untergeordnete Rolle, denn sie verschwinden meist, wenn die Ursache gefunden und der Störfaktor beseitigt ist.
Können Sie mir hier Beispiele geben?
Ja. Eine Patientin litt während Jahren an einem geröteten Auge und war in augenärztlicher Behandlung. In meiner Sprechstunde stellte ich fest, dass einer ihrer Zähne wurzelbehandelt, also tot war. Ich riet ihr, diesen ziehen zu lassen, und siehe da, die Rötung verschwand noch auf dem Zahnarztstuhl.
Ein anderer Patient litt jahrelang an Nagelpilz und hatte mehrere Dermatologen erfolglos konsultiert, bevor er meine Praxis aufsuchte. Ich stellte fest, dass der Mann diverse Amalgamfüllungen hatte und riet ihm zu einer Gebisssanierung. Danach wurden seine Nägel wieder gesund.
Die Bedeutung der Zahngesundheit wird meines Erachtens unterschätzt.
Wie wirkt sich die Pandemie auf den Alterungsprozess der Menschen aus?
Äusserst ungünstig. Viele Menschen leiden durch die Isolation, haben Existenzängste, nehmen zu, weil sie vor lauter Frust zu viel essen und sich weniger bewegen. Der Mensch braucht Kontakt zu anderen. Umarmungen und Küsse aktivieren unser Immunsystem, weil wir dabei Keime austauschen. Das macht uns stärker.
Welche Anti-Aging-Massnahmen sind besonders empfehlenswert?
Wissenschaftlich erwiesen ist, dass der Verzicht aufs Rauchen, ausreichend Schlaf, regelmässige Bewegung und weniger, dafür aber gesünder zu essen den Alterungsprozess positiv beeinflussen.
Gibt es Anti-Aging-Trends, die Sie kritisch beurteilen?
Ja, seit Beginn der Pandemie boomt die Schönheitschirurgie. Wenn ein Mensch wegen seines Aussehens leidet, können solche Eingriffe durchaus sinnvoll sein und die Lebensqualität verbessern. Ich beobachte aber, dass viele Menschen sich heute unters Messer legen, um sich auf den sozialen Medien möglichst perfekt zu präsentieren. Das ist bedenklich.
Beim Begriff «Anti-Aging» denken viele an Cremes zur Faltenbehandlung. Halten diese Produkte, was sie versprechen?
Ja und nein. Von Gesetzes wegen dürfen Kosmetika nur auf der obersten Hautschicht wirken. Würden sie in tiefere Schichten eindringen, müssten sie als Medikamente deklariert werden. Längerfristig hilft es aber, die Haut mit einer Creme feucht zu halten. Das trägt auch dazu bei, dass unsere äusserste Hülle durch einen intakten Säureschutzmantel optimal geschützt wird.
Welche Rolle spielt die Ernährung bezüglich Anti-Aging?
Eine sehr wichtige. Während der Pandemie haben viele Menschen zugenommen, was für den Alterungsprozess ungünstig ist. Ich rate, das Gewicht einmal pro Woche auf der Waage zu kontrollieren. Zeigt diese mehr an, isst man besser weniger. Die Gewichtszunahme wird durch mangelnde Bewegung begünstigt, da so Muskeln abgebaut werden. Die Muskeln sind unser wichtigstes Organ, um Fett zu verbrennen.
Ideal ist es, sich so zu ernähren, wie in der Zeit vor der industriellen Lebensmittelproduktion. Zudem sollten sich Phasen von Sättigung und Hunger abwechseln. Empfehlenswert ist Intervallfasten, bei dem man während sechzehn Stunden am Tag nichts isst.
Generell ist es sinnvoll, den Konsum an raffinierten Kohlenhydraten wie Weissmehl und Zucker zu reduzieren. Insbesondere Zucker wirkt sich schlecht auf unsere Gesundheit aus. Zucker ist eine Droge, die süchtig und krank macht. Er bringt den Stoffwechsel aus dem Lot und verklebt Blutgefässe und Bindegewebe.
Für welche Menschen sind Nahrungssupplemente sinnvoll?
Bevor man sich damit beschäftigt, sollte man den Körper entgiften. Es ist falsch, zu glauben, dass man durch die Einnahme von Supplementen Sünden wie Rauchen oder übermässiges Trinken kompensieren kann. Ich empfehle Nahrungssupplemente dann, wenn tatsächlich ein Defizit an bestimmten Nährstoffen, zum Beispiel Eisen oder Vitamin B12, vorliegt. Davon sind zum Beispiel Menschen betroffen, die sich einer Magenverkleinerung unterzogen haben oder sich unausgewogen ernähren.
Manche Nährstoffdefizite lassen sich durch Anpassungen in der Ernährung beheben. Die Chinesische Medizin empfiehlt zum Beispiel, sich möglichst bunt zu ernähren. So führt man dem Körper eine Vielzahl verschiedener Nährstoffe zu.
Wie viel Bewegung ist sinnvoll?
Bewegung ist nicht gleich Bewegung. Manche Menschen glauben, dass die kurze Gassi-Runde mit dem Hund ausreicht. Um einen Anti-Aging-Effekt zu erzielen, müssen Puls und Atemfrequenz ansteigen. Gut ist, wenn man sich beim Sport immer noch mit jemandem unterhalten kann. Nach dem Training sollte man sich wohlfühlen und am nächsten Tag noch besser. Wer drei Tage danach k. o. ist, macht etwas falsch. Ideal sind Sportarten, bei denen der ganze Körper trainiert wird, wie zum Beispiel Rudern oder Joggen. Bewegung wirkt dem Abbau der Hirnzellen entgegen. Ich empfehle, an drei Tagen in der Woche Sport zu treiben. Dafür benötigt man nicht Stunden. Wichtig ist, dass man die maximale Leistungsgrenze während des Trainings möglichst einmal erreicht. Unser Körper will gefordert werden.
* Dr. med. John van Limburg Stirum ist Anti-Aging-Mediziner sowie Gründer und Leiter der Seegarten-Klinik in Kilchberg.
Weitere Informationen
Website der Swiss Society for Anti Aging Medicine and Prevention: www.ssaamp.ch.