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Apothekenmythen auf dem Prüfstand

Die Medikamentenpreise sind die Ursache für die Kostenexplosion im Gesundheitswesen, Apothekerinnen und Apotheker geben einfach auf ärztliche Verordnung hin Medikamente ab und verdienen mit happigen Margen darauf gutes Geld. Diese und weitere Mythen sind bei der Schweizer Bevölkerung verbreitet. Ist an den Mythen was dran? Die Erklärungen dazu – unterlegt mit Zahlen und Fakten – bringen Licht ins Dunkel.

Gregory Nenniger, Schweizerischer Apothekerverband pharmaSuisse 

Mythos Nr. 1: Die zu teuren Medikamente sind schuld an der Kostenexplosion im Gesundheitswesen, wodurch die Krankenkassenprämien stetig steigen.

Erklärung: Falsch! Dass die Gesundheitskosten in der Schweiz in den letzten Jahren steigen, ist korrekt. Dafür die Apotheken verantwortlich zu machen allerdings nicht. Denn der Anteil der Medikamente an den Gesundheitskosten ist während den letzten zehn Jahren konstant geblieben. Zudem können laut dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) nur 3,1 % der Kosten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) dem Apothekenkanal zugeordnet werden. Was viele zudem nicht wissen: Teure Medikamente machen allein fast 60 % der Kosten aus – und werden nur äusserst selten durch Apotheken abgegeben. Die Apotheken werden folglich nicht nur zu Unrecht mit den Kostenexplosionen im Gesundheitswesen in Verbindung gebracht, es wird auch oft übersehen, dass sie einen grossen Teil zur Reduktion der Kosten beitragen, z.B. indem sie Generika anstelle von teureren Originalpräparaten abgeben oder viele Leistungen unentgeltlich erbringen.

Verteilung der verschiedenen Gruppen der Kosten der OKP 2021

Aufteilung der 22 Prozent Medikamentenkosten zulasten der OKP

Mythos Nr. 2: Apothekerinnen und Apotheker geben einfach die ärztlich verordneten Medikamente ab und verdienen sich dabei eine goldene Nase.

Erklärung: Falsch! Apothekerinnen und Apotheker machen weitaus mehr, als nur die verordneten Medikamente abzugeben. Sie beantworten die Fragen der Kundinnen und Kunden, besprechen mit ihnen die Einnahme und geben nützliche Zusatzinformationen. Mit dem Medikamenten-Check prüfen sie allfällige Risiken und Wechselwirkungen, kontrollieren die Dosierungen und erklären die Einnahme oder Anwendung. Der Bezugs-Check gibt dem Apothekenpersonal einen Überblick über die Gesamtmedikation einer Person – auch wenn mehrere Ärztinnen oder Ärzte aufgesucht werden. Die Kosten dieser Validierung sind der Lohn des Apothekenpersonals und transparent ausgewiesen. Sie werden direkt der Krankenkasse verrechnet. Mit dem Apothekentarif LOA (leistungsorientierte Abgabe) werden die Leistungen der Apotheken unabhängig vom Preis des verordneten Medikamentes und der Anzahl abgegebener Packungen als Pauschale abgegolten.

Aufteilung der LOA-Leistungen zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) 2022

Mythos Nr. 3: Es gibt in der Schweiz viel zu viele Apotheken. Wie soll man da noch den Überblick behalten, in welche man gehen soll?!

Erklärung: Falsch! In der Schweiz gibt es 1839 Apotheken. Pro 100‘000 Einwohnerinnen und Einwohner sind das lediglich 21. Zum Vergleich: Der Durchschnitt in Europa liegt bei 32. In Kantonen, in denen die direkte Medikamentenabgabe durch Ärztinnen und Ärzte (Selbstdispensation) erlaubt oder zum Teil erlaubt ist, ist das Apothekennetz nicht mal halb so gross wie in Kantonen, in denen die Medikamentenabgabe ausschliesslich in der Apotheke erlaubt ist. Das führt dazu, dass Medikamente in den Arztpraxen direkt an Patientinnen und Patienten abgegeben werden, wodurch die wichtige Doppelkontrolle Ärztin/Arzt – Apothekerin/Apotheker wegfällt. Das stellt für Patientinnen und Patienten ein Risiko dar. Denn die Apothekerinnen und Apotheker sind Spezialistinnen und Spezialisten für Fragen zu Medikamenten, deren Einnahme, Wirkungen, möglichen Nebenwirkungen, Interaktionen und weiteren Themen. Zudem steht das Apothekenpersonal täglich rund 300‘000 Kundinnen und Kunden zur Verfügung, ganz ohne vorgängige Terminvereinbarung und auch am Wochenende und an Feiertagen. Kleiner Tipp: Auf der Website www.ihre-apotheke.ch finden Sie ganz einfach die nächstgelegene Apotheke – inklusive Kontaktangaben und Öffnungszeiten.

Apothekendichte in Bezug auf Abgaberegime

Mythos Nr. 4: Wenn die Menschen ein gesundheitliches Problem haben, gehen sie so oder so zu einer Ärztin oder einem Arzt und nicht in die Apotheke!

Erklärung: Teilweise richtig! Richtig ist, dass immer noch zu viele Menschen selbst bei kleineren Gesundheitsproblemen direkt zu einer Ärztin oder einem Arzt gehen. Weil ein grosser Teil keinen Hausarzt oder keine Hausärztin hat, oder es schwierig ist, dort einen Termin zu bekommen, machen viele den Gang in die Apotheke und lassen sich dort kompetent und unkompliziert beraten. Das erstaunt nicht: Apothekerinnen und Apotheker geniessen gemäss einer Studie vom Forschungsinstitut Sotomo aus dem Jahr 2022 ein sehr hohes Vertrauen der Bevölkerung und liegen nur knapp hinter den Ärztinnen und Ärzten. Aus der Studie geht aber auch hervor, dass der Schweizer Bevölkerung nach wie vor zu wenig bekannt ist, dass Apothekerinnen und Apotheker viele Gesundheitsprobleme direkt in der Apotheke lösen und behandeln können. So weiss laut der Studie beispielsweise nur rund ein Viertel der Befragten, dass in der Apotheke auch rezeptpflichtige Medikamente ohne ärztliche Konsultation bezogen werden können. Gerade das Interesse an dieser Dienstleistung ist jedoch gross. Um die Hausärztinnen und Hausärzte sowie Notfallaufnahmen zu entlasten, ist es also sinnvoll, zuerst in die Apotheke zu gehen und dort die ersten Abklärungen machen zu lassen.

Mythos Nr. 5: Dass zurzeit rund 1000 Medikamente nicht lieferbar sind, und es vermehrt zu Lieferengpässen kommt, ist der ungenügenden Logistik der Apotheken zuzuschreiben.

Erklärung: Falsch! Lieferengpässe im Medikamentenbereich sind erstens kein Novum und zweitens nicht auf eine Fehlplanung von Apotheken zurückzuführen. Vielmehr haben ausgelagerte Produktionsstandorte, die Covid-19-Pandemie und der Ukrainekrieg zu einer Reihe von Unterbrüchen in der Lieferkette und somit zu einem Höchststand bei den Versorgungsengpässen geführt. Das Apothekenpersonal sucht deshalb tagtäglich nach sinnvollen Alternativpräparaten. Um solche Liefer- und Versorgungsengpässe zukünftig weitestgehend vermeiden zu können, hat sich eine Allianz aus Apotheker- und Ärzteschaft, Drogistinnen und Drogisten, Pharmaindustrie, Pharma-Grossisten, Labormedizin und Konsumentenorganisationen zusammengetan und die Volksinitiative «Ja zur medizinischen Versorgungssicherheit» lanciert. Sie wollen zukünftig eine bessere und sichere Medikamentenversorgung? Helfen Sie mit und unterschreiben Sie die Initiative «Ja zur medizinischen Versorgungssicherheit»: www.versorgungsinitiative.ch

Entwicklung der Lieferengpässe gemäss drugshortage.ch

Quellenangaben

  • Bundesamt für Statistik (BFS) – Kosten und Finanzierung des Gesundheitswesens
  • Bundesamt für Gesundheit (BAG) – Statistik der obligatorischen Krankenversicherung)
  • Monitoring primäre Gesundheitsversorgung, Sotomo-Studie November 2022