Die heilende Wirkung des Fastens
Fasten wird schon seit Beginn der Medizingeschichte als Heilmittel verschrieben. Doch welche Art des Fastens ist wirklich sinnvoll und wie wirkt sich die Auszeit vom Essen auf unseren Körper aus?
Wo sehen Sie Probleme der heutigen Ernährung?
Dr. med. Jean-Paul Wuerth*: Für unsere jagenden Urahnen war es normal, dass sie zwischen den Mahlzeiten oft längere Zeit von ihren Fettreserven leben mussten. Heute sind die meisten Menschen in der Schweiz von frühmorgens bis abends immer wieder am Essen und Verdauen von industriell verarbeiteter Nahrung.
Wie wirkt sich dieses Essensverhalten auf unsere Gesundheit aus?
Unser Körper ist darauf ausgerichtet, in der Balance zwischen essen und nicht essen zu überleben. Das erhält ihn gesund. Überfluss führt zu Übergewicht vor allem im Bauchbereich und zu Entzündungen, die Bluthochdruck, Gefässerkrankungen sowie eine Erhöhung des Blutzuckers oder der Blutfettwerte verursachen können. Auch das Krebsrisiko steigt.
Welche Art des Fastens empfehlen Sie?
Ich empfehle zwei Arten des Fastens: das Fasten als «Reset des Körpers» und «tägliches Fasten». Die erste Methode kann man ein- bis zweimal pro Jahr unter medizinischer Anleitung während einer Woche durchführen. Man nimmt pro Tag maximal 600 Kalorien zu sich, lässt das Abendessen weg und saniert den Darm mit natürlichen Abführmitteln. Durch diese Auszeit regeneriert sich der Körper, die Geschmacksnerven werden sensibilisiert und die Darmflora verbessert sich. Eine solche Fastenwoche kann den Übergang zu besseren Essgewohnheiten erleichtern. Die Gewichtsabnahme ist nicht das Ziel, sondern eine positive Nebenwirkung der Fastenwoche.
Tägliches Fasten bedeutet, die Zeit der Nahrungsaufnahme einzuschränken, sodass man innerhalb eines Zeitfensters von zwei bis acht Stunden isst und dem Körper danach eine Pause von mindestens 16 Stunden gönnt. Das bedeutet zum Beispiel, dass man die erste Mahlzeit um 12 Uhr und die letzte um 18 Uhr einnimmt. Durch zeitlich eingeschränktes Essen kann man leicht abnehmen oder das Idealgewicht halten und gleichzeitig die Gesundheit positiv beeinflussen.
Was geschieht beim Fasten im Körper?
Durch ständiges Essen hält man seine Organe permanent auf Trab. Der Körper verbrennt vor allem Glukose aus der letzten Mahlzeit. Bei Essenspausen ab zwölf Stunden stellt unser Stoffwechsel auf die Verbrennung von Fettreserven um. Das gebunkerte Fett wird in der Leber in Ketonkörper umgewandelt, die für den Körper ein entzündungshemmender Super-Treibstoff sind. Da Ketonkörper auf Nervenzellen schützend wirken und kognitive Funktionen zu fördern scheinen, ist die ketogene Phase besonders günstig für das Gehirn. Auch auf das Herz und die Nieren hat sie einen positiven Einfluss.
Welche gesundheitlichen Vorteile hat zeitlich eingeschränktes Essen?
Diese Art des Fastens reduziert die Entzündungen im Körper. Das wirkt sich positiv auf die Gefässe und die Funktion der Organe aus.
Während des Fastens befindet sich unser Körper im Reparatur- und Regenerationsmodus. In dieser Phase verdauen sich fehlerhafte Teile von Zellen selber und alte Zellen, die entarten könnten, sterben eher ab. Fasten hat also eine präventive Wirkung auf Zivilisationskrankheiten, Krebs und Autoimmunerkrankungen. Der moderne Mensch befindet sich selten in diesem heilenden Modus, weil er ständig am Essen und Verdauen ist.
Nicht zuletzt schlafen viele Menschen besser, die täglich zeitlich eingeschränkt essen.
Warum ist zeitlich eingeschränktes Essen besser als eine einwöchige Fastenkur?
In einer einwöchigen Fastenkur unter Anleitung kann man seinen Körper auf seine ursprünglichen und natürlichen Einstellungen zurücksetzen, um mit ihm wieder in Einklang zu leben. Allerdings muss man wissen, dass eine Fastenkur, die nicht zu einer langfristigen Anpassung des Lebensstils führt, nichts anderes als eine gesundheitsschädigende Jo-Jo-Diät ist. Wer über längere Zeit zu wenig Kalorien zu sich nimmt, muss mit einem Nährstoffmangel und dem Verlust der Muskelmasse rechnen.
Durch langfristiges Umstellen auf zeitlich eingeschränktes Essen entsteht dieses Risiko nicht.
Tut Fasten der Leber gut?
Fasten hat einen positiven Einfluss auf alle Organe. Die Leber übernimmt eine zentrale Rolle im Stoffwechsel. Sie entgiftet den Körper und kontrolliert die Blutzucker- und Blutfettwerte.
In der Schweiz haben viele Menschen eine verfettete und entzündete Leber. Grund dafür sind Übergewicht und der hohe Konsum von weissem Zucker, im Schnitt sind es über 100 Gramm pro Tag. Eine entzündete Leber kann ihre Entgiftungsfunktion nicht mehr so gut wahrnehmen. Durch Fasten kann sich die Leber erholen.
Kann man durch Fasten sein Leben verlängern?
Belege dafür gibt es zurzeit nur im Tierversuch. Die Mäuse, die in einer Studie ihren täglichen Kalorienbedarf innerhalb von vier bis sechs Stunden zu sich nahmen, lebten länger und waren gesünder als die Mäuse, die während des ganzen Tages Zugang zur gleichen Kalorienmenge hatten. Erst kürzlich publizierte Studien von mehreren renommierten Universitäten ergaben, dass Fasten beim Menschen Chemotherapien unterstützen, Typ-2-Diabetes heilen, die Blutzucker- und Blutfettwerte verbessern und Krankheiten wie Herzinfarkt, Diabetes, Krebs und sogar Demenz vorbeugen kann.
Ist Fasten nur für Übergewichtige oder für jedermann geeignet?
Nein, auch Normalgewichtige profitieren davon. Allerdings kann man sagen: Je grösser das Übergewicht, umso grösser ist der Heilungseffekt.
Wie gelingt die Umstellung auf tägliches, zeitlich eingeschränktes Fasten?
Die Veränderung des Lebensstils ist immer ein Kampf gegen sich selbst. Dafür braucht es nicht nur einen starken Willen, sondern auch ein klares Ziel, Ernährungskenntnisse und eine gesunde Beziehung zum Essen. Mit Unterstützung eines Coachs gelingt die Umstellung leichter. Ich helfe meinen Klienten, Abhängigkeiten, zum Beispiel die Lust auf Süsses, zu erkennen, Distanz zu Zucker zu schaffen und ihr Verhältnis zur Nahrung zu verändern. Menschen sollten nicht nach dem Lustprinzip essen, sondern vielmehr spüren, was ihr Körper braucht. Mit dem Essen übernehmen wir Verantwortung für die Gesunderhaltung des Körpers.
*Dr. med. Jean-Paul Wuerth ist Hausarzt, Health Coach und Gründer der Fondation Fasting. Er hat in Zürich Medizin studiert und ist auf Innere Medizin und Endokrinologie spezialisiert. www.fondation-fasting.com