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François Ledermann: Ein Leben für die Pharmazie

Als Apotheker und Historiker ist Prof. Dr. François Ledermann so etwas wie das wandelnde Lexikon der Schweizer Pharmazie. Das 175-Jahre-Jubiläum des Schweizerischen Apothekerverbands nehmen wir zum Anlass für einen Hausbesuch.

Rahel Rohrer, pharmaSuisse

Was er heute studieren würde? Verschmitzt antwortet François Ledermann, das wäre vielleicht Jus. Doch so recht nimmt ihm das niemand ab, ist er doch mit Leib und Seele Apotheker und Historiker. In seinem Wohnzimmer wähnt man sich in einem Pharmaziemuseum: Kunstvolle Porzellanfiguren in der Gestalt von Kosmas und Damian, der frühchristlichen Schutzheiligen der Pharmazie, blicken einem gleich dutzendfach aus Büchergestell und Buffet entgegen.

Leidenschaftlicher Apotheker

Dreissig Jahre lang führte Ledermann zusammen mit seiner Gattin Barbara die Schloss-Apotheke am Loryplatz in Bern. An der Universität Bern lernte er die Spiezerin kennen, die ebenfalls Pharmazie studierte und ihren Beruf stets ausübte, auch als die Töchter Florence und Camille die Familie komplettierten. Ledermann selber wuchs in Bern bilingue auf, seine Eltern stammen aus dem Jura. «Mein Vater erzählte oft von den Apotheken, die er als Beamter der eidgenössischen Alkoholverwaltung inspizierte. Wahrscheinlich hat mich das schon als Bub geprägt. Ich bin glücklich, dass ich Apotheker geworden bin.»

Vom Hersteller zum Dienstleister

Seine Dissertation schrieb Prof. Dr. François Ledermann über den Medikamentenkonsum im Kanton Neuenburg zwischen 1930 und 1960: Er durchforstete alte Rezeptbücher, in die alle Rezepte fein säuberlich von Hand eingetragen waren. Und stellte fest, dass 1930 80 Prozent aller Medikamente sogenannte Magistralrezepturen waren, also in der Apotheke selbst hergestellt wurden. Um 1960 war der Anteil auf 20 Prozent gesunken. «Das war die Epoche der industriellen Revolution in der Pharmazie: Der Apotheker stellte nicht mehr alle Medikamente selber her.» Der Apothekerberuf brauchte ein neues Gesicht. Nun stand nicht mehr die Medikamentenherstellung, sondern die Fachberatung im Vordergrund.

Zwei Jahre Notfalldienst

«Ich hatte ein schönes professionelles Leben, man hat viel Freiheit und gleichzeitig viel Verantwortung in einer Quartierapotheke», blickt Ledermann zurück. Am besten gefiel es ihm, den Generationenwechsel seiner Stammkunden begleiten zu dürfen. Doch auch Trauriges muss ein Apotheker verkraften. So denkt er etwa an die Aids-Epidemie zurück, die viele junge Opfer mit sich brachte. Zusammengerechnet leistete er ganze zwei Jahre nächtlichen Notfalldienst in seiner Apotheke. Oft half er verzweifelten Eltern, die Rat und Medikamente für ihre Kinder brauchten. «Die grosse Mehrheit ist froh um kompetente Beratung – gestern wie heute.»

Alleskönner Apotheker

Heute widmet Prof. Dr. François Ledermann einen Grossteil seiner Zeit der Pharmaziegeschichte. «Es ist mehr als ein Hobby, es ist mein Leben.» So nimmt er oft an pharmazeutischen Kongressen teil und ist Autor von zahlreichen medizinisch-historischen Publikationen. Im Institut für Medizingeschichte der Universität Bern ist er unter anderem Hüter der pharmazeutischen Pflanzensammlung. «Für mich sind Apotheker Alleskönner», schwärmt er, «früher nannte man sie sogar die Keimzelle der Naturwissenschaften. Auch heute haben sie eine sehr wichtige Rolle in der Gesellschaft.» Ein Apotheker müsse ein naturwissenschaftliches Fundament mitbringen, wissenschaftlich denken, Sinn für Psychologie haben und flexibel und geschäftstüchtig sein.

Früher war nicht alles besser

François Ledermann schaut gerne zurück – und geht trotzdem mit der Zeit. 1990 war er einer der ersten stolzen Apotheker mit einem Faxgerät. Heute liest der 69-Jährige seine Tageszeitungen, natürlich darf eine französischsprachige nicht fehlen, auf dem Tablett. «Der Apothekerberuf hat Zukunft. Die Leute haben Vertrauen in die Apotheker und ihr breites Wissen.» Im Vergleich mit den umgrenzenden Ländern taxiert Ledermann die Schweizer Apotheken als sehr fortschrittlich. «Die Apotheken in der Schweiz bieten heute zum Beispiel Darmkrebsvorsorge, Impfen und viele weitere Vorsorgedienstleistungen an.» Heute sei das Studium viel umfassender und praxisorientierter als zu seiner Zeit. Und ganz Historiker wirft er einen Blick in die Vergangenheit: «Früher war hierzulande alles viel dreckiger, die Arbeitsverhältnisse waren ungesünder und es gab mehr Unfälle. Heute ist vieles besser und die Lebenserwartung viel höher: dank mehr Sonne, mehr Platz und besseren hygienischen Verhältnissen.»

Zehn Meilensteine in der Pharmazie

1800–1840: 1804 gelingt es, den Wirkstoff Morphin aus der Mohnpflanze zu isolieren und gezielt für Schmerzmedikamente einzusetzen. Weitere Medikamente mit sogenannten Alkaloiden, z. B. mit Codein, kommen in Umlauf und helfen gegen Schmerzen, Husten, Fieber usw.
1843: Führende Apotheker gründen in Bern die Dachorganisation der Apothekerinnen und Apotheker: den Schweizerischen Apothekerverband. Heute heisst der Berufsverband mit Sitz in Bern-Liebefeld pharmaSuisse und feiert sein 175-Jahre-Jubiläum. Dem Verband sind rund 6‘300 Einzelmitglieder und 1‘500 Apotheken angeschlossen.
1850–1900: Die ersten synthetischen Medikamente, wie z. B. Aspirin und Schlafmittel, kommen auf den Markt. Sie verdrängen aber nur langsam die traditionellen Therapiemethoden, die sich vorwiegend auf Pflanzen stützen.
1865: Die erste Pharmakopöe wird herausgegeben. Es handelt sich dabei um ein amtliches Arzneibuch, das verbindliche Qualitätsvorschriften für Arzneimittel, Hilfsstoffe und einige Medizinprodukte vorgibt.
1880–1920: Die ersten pharmazeutischen Institute werden in Bern, Basel, Zürich, Genf und Lausanne aufgebaut und bieten ein standardisiertes Universitätsstudium mit eidgenössischem Diplom an. Vorher absolvieren Schweizer Apotheker ihr Studium mehrheitlich im Ausland.
1900: Vor der Jahrhundertwende werden kantonale Vereine gegründet, die die Anstrengungen des Schweizer Verbands ergänzen und verstärken. Die ersten Studentinnen erscheinen an den Hochschulen und beginnen eine starke Bewegung der Feminisierung des Berufs.
1911: Das erste eidgenössische Krankenkassenversicherungsgesetz wird eingeführt. Erst seit 1996 ist die Krankenkasse in der Schweiz obligatorisch, vorher war sie freiwillig.
1930–1960: Im Laufe des 20. Jahrhunderts ist der Apotheker nicht mehr bloss ein Hersteller; Medikamente werden immer mehr auch industriell hergestellt. Vor 1950 tauchen die ersten Antibiotika auf. Auch Medikamente gegen psychische Leiden, wie z.B. Antidepressiva, kommen auf den Markt. Vorher waren Arzneimittel meistens rein pflanzlich. In unseren letzten Jahrzehnten erleben pflanzliche Medikamente eine Renaissance.
2001: Zusammen mit den Krankenkassen führen die Apotheker die Leistungsorientierte Abgeltung (LOA) ein. Dieser Tarifvertrag stellt sicher, dass Apotheker ihre Leistungen bei der Abgabe eines rezept- und kassenpflichtigen Medikaments weitgehend unabhängig vom Medikamentenpreis verrechnen können. Dank dieses Abgeltungssystems sparen die Prämienzahler seit 2001 gut eine Milliarde Fran¬ken ein.
2015: Mit der Revision des eidgenössischen Medizinalberufegesetzes erhalten die Apothekerinnen und Apotheker die Kompetenz, ohne ärztliches Rezept in der Apotheke zu impfen. Da das Gesundheitswesen kantonal geregelt ist, müssen dazu die jeweiligen kantonalen Gesetze entsprechend angepasst werden. Mittlerweile ist das Impfen in der Apotheke, z. B. gegen Grippe, bereits in 18 Kantonen möglich (www.impfapotheke.ch).