Deutsch

Gartentherapie: Das heilsame Grün

Der Anblick von Bäumen, blühenden Sträuchern und Blumen sowie der Anbau von Gemüse und Obst tun unserer Seele gut. Im Interview erklärt Martina Föhn, was Gartentherapie ist und wer davon profitiert.

Bild: Eine Betreuerin erklärt einer von einer geistigen Behinderung betroffenen Frau, wie mit Stroh gemulcht wird.

Was versteht man unter Gartentherapie?
Martina Föhn:
Gartentherapie ist eine Massnahme, bei der pflanzen- und gartenorientierte Aktivitäten und Erlebnisse genutzt werden, um Interaktionen zwischen Menschen und Umwelt zu initiieren und unterstützen. Die Gartentherapie fördert die Lebensqualität, lindert gesundheitliche Probleme und lässt Menschen mit Einschränkungen an gesellschaftlichen Aktivitäten teilhaben.
Die Idee der Gartentherapie ist nicht neu. Schon die alten Ägypter verschrieben verwirrten Menschen den Aufenthalt in Gärten. Die Gartentherapie wurde in den 1960er-Jahren erstmals in den USA und in Gross­britannien untersucht. Heute bieten diverse Institutionen, so wie die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Wädenswil, Aus- und Weiterbildungen in diesem Bereich an.

Welche Fähigkeiten werden bei der Therapie gestärkt?
Die Gartentherapie fördert die motorischen und geistigen Fähigkeiten von Menschen. Ausserdem spricht sie uns auf der sensorischen Ebene an. Sie kann deshalb breit eingesetzt werden.

Bei welchen gesundheitlichen Problemen kann sie hilfreich sein?
Gartentherapie eignet sich bei Schmerzen, nach einem Schlaganfall, bei Depressionen oder Demenz. Heute wird sie in vielen Alters- und Pflegeheimen, aber auch in psychiatrischen und Reha-Kliniken eingesetzt. Sie verbessert die Stimmung, hilft bei Ängsten oder Anspannung und verleiht älteren Menschen eine Tagesstruktur.

Wer profitiert sonst noch von dieser Therapieform?
Die Gartentherapie baut Stress ab und fördert das Wohlbefinden und die Lebensqualität von Menschen. Sie hat eine positive Wirkung bei Essstörungen oder Adipositas. In interkulturellen Gärten bietet sie Migrant­innen und Migranten eine sinnvolle Beschäftigung, die ihnen zudem bei der Bewältigung von Traumata helfen kann. Garten­therapie kann ebenfalls für Kinder zum Beispiel mit Autismus eine gute Therapieform sein. Nicht zuletzt wird sie in Strafanstalten eingesetzt.

Wo sehen Sie den grossen Vorteil der Therapie?
Sie ist sinnstiftend. Personen, die sonst in ihrem Alltag auf Pflege angewiesen sind, übernehmen Verantwortung für Pflanzen und
schlüpfen in die Rolle von Pflegenden. Wenn man Samen sät, Pflanzen giesst und ihnen beim Wachsen zuschauen kann, macht das glücklich. Für die Fürsorge, die man der Pflanze schenkt, wird man mit einer Ernte oder mit Blumen belohnt. Das ist motivierend und befriedigend. Bei der Gartenarbeit haben die Menschen ein Ziel vor Augen und können sich in die Beschäftigung vertiefen.

Gibt es Studien zur Wirkung von Gartentherapie?
Ja, die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften hat zusammen mit der Reha-Clinic Bad Zurzach untersucht, wie sich die Therapieform bei Schmerzen auswirkt. Die Resul­tate waren positiv. Andere Studien haben einen Effekt bei Stress und Depressionen nachgewiesen.

Eignet sich die Therapie bei jedem Wetter?
Ja, auf jeden Fall. Schmerzpatientinnen und -patienten tut es zum Beispiel gut, wieder einmal Kälte zu empfinden oder den Regen auf der Haut zu spüren. Im Garten gibt es immer etwas zu tun. Wenn der Boden gefroren ist, kann man Hochbeete bepflanzen oder Setzlinge in Gewächshäusern ziehen. Der Anblick und die Beschäftigung mit Pflanzen wirken sich gesundheitsfördernd aus. Der Architekturprofessor Roger Ulrich hat untersucht, wie sich der Blick ins Grüne auf Patientinnen und Patienten nach einer Gallenblasenoperation auswirkt. Studienteilnehmende, die vom Fenster auf einen Park mit Bäumen sahen, benötigten weniger Schmerzmittel und wurden früher aus dem Spital entlassen als jene, die auf die Betonmauer des Nachbargebäudes sehen mussten.

Gibt es Pflanzen, die sich für die Therapie besonders gut eignen?
Die Gartentherapie muss immer individuell auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Teilnehmenden angepasst werden. Demenzpatientinnen und -patienten wissen oft nicht mehr, was vor fünf Minuten passiert ist. An Dinge aus ihrer Kindheit und Jugend können sie sich hingegen oft noch gut erinnern. Für die Gartentherapie mit diesen Patientinnen und Patienten wählt man deshalb am besten Pflanzen, die vor 70 oder 80 Jahren gerade populär waren oder solche, die für die Person eine wichtige Rolle im Leben gespielt haben. Mit einem Romanesco können Menschen mit Demenz nicht viel anfangen, weil es dieses Gemüse in ihrer Jugend noch nicht gab.
Für Menschen, die ihre Hände aufgrund von Rheuma, Arthrose oder nach einem Schlaganfall nicht mehr gut bewegen können, wählt man am besten grosse statt kleine Samen wie zum Beispiel Bohnensamen.
In der Gartentherapie werden oft auch Pflanzen eingesetzt, die die Sinne ansprechen und zum Beispiel duften, sich flauschig anfühlen oder Samen, die rasseln. Beeren und süsse Früchte sprechen den Geschmackssinn an und sind bei Jung und Alt sehr beliebt.

Ausbildungsmöglichkeiten

Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften bietet seit 2013 die Ausbildung CAS Gartentherapie an. Diese Ausbildung wendet sich an Per­sonen, die im Gesundheitsbereich tätig sind und sich gärtnerisches Know-how aneignen wollen, um in ihrer Institution zusammen mit Patientinnen und Patienten zu gärtnern.

Die Ausbildung CAS Therapiegärten ist vor allem für Gärtner und Landschaftsarchitekten interessant, die lernen wollen, wie ein Therapiegarten angelegt und geleitet wird. In dieser Ausbildung erfahren die Teilnehmenden mehr über Krankheitsbilder und den Umgang mit kranken Menschen sowie über Pflanzen, die für einen Therapiegarten besonders interessant sind.