Kann Freizeit krank machen?
Wenn jemand auf Freizeit und Ferien nicht entspannt, sondern mit einer Erkrankung reagiert, ist dies ein Alarmsignal. Denise Peter befasst sich als Psychologin in ihrer Praxis in Liestal und in Schulungen häufig mit solch einer Situation.
Denise Peter, welche Anzeichen machen deutlich, dass das gesunde Gleichgewicht zwischen Arbeit und Freizeit ernsthaft gestört ist?
Denise Peter*: Die Anzeichen treten auf verschiedenen Ebenen auf. Der Betroffene klagt etwa, der Schlaf bringe ihm überhaupt keine Erholung mehr und er fühle sich dauernd erschöpft. Ein hoher Grad an Reizbarkeit und Nervosität, aber auch der unablässige Druck von noch zu erledigenden Aufgaben zeigen an, dass die Fähigkeit zur Entspannung blockiert ist. Werden solche Alarmzeichen dauernd überhört, kann es zum bekannten Burn-out-Syndrom und zu einem eigentlichen Zusammenbruch kommen.
Gehen Frauen etwas achtsamer mit sich um als die Männer?
Ich kann Ihnen keine Statistik vorlegen, aber aufgrund meiner Praxiserfahrung sagen, dass Frauen etwas früher auf Warnsignale achten als Männer und Beratung suchen.
Leistungszwang und heroischer Durchhaltewillen gelten eben immer noch als erstrebenswerte männliche Eigenschaften, während Frauen sich eher jemandem mitteilen und spüren, dass Verhaltensänderungen notwendig sind. Die herausfordernde Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit führt auch Frauen zunehmend in Engpässe – sofern die Ansprüche und Erwartungen, alles unter den berühmten einen Hut zu bringen, zu hoch sind.
Wir sollten Entspannung wieder als gesundheitlichen Wert erkennen?
Ich verwende gerne das Bild vom Tumbler. Wer im Tumbler unablässig gedreht wird, kann nicht einfach den Schalter drehen, sondern braucht Hilfe von aussen. Etwa in Gestalt eines Arbeitgebers, eines Partners oder Freundes, der offen anspricht, was da falsch läuft. Auch ein Hausarzt wird reagieren, wenn er feststellt, dass sich ein Patient im Zeitraum von drei Monaten schon zum sechsten Mal im Anschluss an ein Wochenende mit Beschwerden bei ihm meldet. Wie auch immer: Je früher der Teufelskreis durchbrochen und erkannt wird, dass man sich vor lauter Anspannung gar nicht mehr entspannen kann, desto besser und desto wirksamer kann Hilfe geboten werden. Wer sich unablässig durchpowert und sich weder im Alltag noch im Beruf Rastplätze und Erholung gönnt, gerät an den Rand seiner Leistungsfähigkeit und verliert unter Umständen seinen Job. Meinen Klienten hilft manchmal dieses Bild weiter: «Sie können den tollsten Ferrari mit dem besten Motor besitzen. Wenn Sie nicht rechtzeitig an der Tankstelle halten, bleibt Ihnen der Wagen stehen.»
Sie haben vom Patienten gesprochen, der an Wochenenden häufig erkrankt. Ist das Phänomen der «Leisure Sickness», der Freizeitkrankheit, tatsächlich existent?
Ja, und dieses Phänomen wurde von Studien belegt. Es lässt sich vergleichsweise einfach erklären: Ich lebe in einer andauernden Spannung und soll mich nun quasi auf Kommando am Wochenende entschleunigen oder aber freudig entspannt in die Ferien fahren. Biologisch geschieht im Grunde nichts anderes, als dass Stresshormone, die Erkrankungen in Schach halten können, nicht mehr ausgeschüttet werden und der Körper für Infektionen anfällig wird. Auch Migräne oder Magenschmerzen können eine Reaktion auf den Wegfall von Stress sein. Die Situation lässt sich aber auch positiv betrachten: Der Körper gönnt sich eine Krankheit und macht so deutlich, dass er mehr Ruhe und Regenerationszeit braucht und einfach nicht mehr im gleichen Takt weitermachen will.
Die «Freizeitkrankheit» kann auch nach dem Ferienbeginn auftauchen?
Genau, denn oft zwingt die Phase vor der Abreise zu einer erhöhten Leistungssteigerung, weil noch dies oder jenes dringend zu erledigen ist.
Wir sprechen hier nicht von ein paar stressigen Tagen, sondern von einer Kumulation von Dauerstress und Zusatzstress. Ein neueres und sehr gefährliches Phänomen ist das «Work-Life-Blending». Dabei geht es um die Vermischung oder Verschmelzung von Arbeit und Freizeit – um eine Verhaltensform, die vor allem durch die zunehmende Digitalisierung und die Öffnung von Arbeitszeitmodellen begünstigt wird.
Denken wir an Homeoffice: Der Computer und das Handy ermöglichen pausenlose Erreichbarkeit und ständigen Arbeitseinsatz. Dieses fugenlose Ineinandergreifen von Arbeit und Freizeit setzt ein hohes Mass an Selbstverantwortung voraus. Auf jeden Fall besteht die Gefahr, dass im Wortsinn pausenlos gearbeitet wird und es kaum mehr Rückzug und Erholungspausen gibt.
Wer ist von Leisure Sickness besonders betroffen?
Man weiss, dass es sowohl bei der Leisure Sickness als auch beim Burn-out um Menschen geht, die sehr ehrgeizig und perfektionistisch sind, sich zwar freudig in Projekte stürzen, sich aber selbst zu viel abverlangen. Solche Menschen können in gewisser Weise in eine Strukturlosigkeit gelangen, die ihre Lebenskraft untergräbt und sie anfällig macht für Erkrankungen und depressive Verstimmungen. Von engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird gern gesagt, dass sie für ihre Arbeit «brennen». Gerade sie müssen darauf achten, dass ihr Arbeitspensum nicht eine Dimension annimmt, die ihre Gesundheit beeinträchtigt und sie «verbrennt».
Gibt es Schutzmassnahmen gegen Selbstausbeutung mit Krankheitsfolge?
Wichtig ist Achtsamkeit: Wie gehe ich mit meinem Körper um? Wie steht es mit meiner Ernährung? Habe ich noch genügend Energie für die Pflege von Freundschaften? Nehme ich die Verantwortung mir selbst gegenüber wahr? Kann ich um meiner Gesundheit willen auch einmal Nein sagen? Wie erlebe ich meine Freizeit, meine Ferien? Zuweilen schlägt eine betroffene Person dann eine andere Richtung ein, weil ihr der Partner oder die Partnerin zu verstehen gegeben hat: «So kann ich nicht weitermachen, unsere Lebenssituation muss sich ändern.»
*Denise Peter, Psychologin FH/SBAP, Praxis für psychologische Beratung, Coaching und Schulung, Liestal BL.