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Keime der Zukunft

Das Jahr 2020 stand ganz im Zeichen der Covid-19-Pandemie. Der Infektiologe Prof. Dr. med. Christian Ruef beantwortet im folgenden Interview Fragen rund um Keime, die für die medizinische Versorgung in der Schweiz eine Herausforderung sind.

Susanna Steimer Miller

Ist das Coronavirus die Spitze des Eisbergs oder müssen wir in Zukunft mit weiteren Pandemien rechnen?
Prof. Dr. med. Christian Ruef*: Pandemien gab es auch schon vor Covid-19 immer wieder. Denken wir an die Spanische Grippe oder die Schweinegrippe. Dass sich Viren weltweit ausbreiten, wird auch in Zukunft möglich sein. Allerdings muss man schon sehen, dass die Covid-19-Pandemie aussergewöhnlich heftig ist und praktisch alle Länder der Welt trifft. Mit einer globalen Pandemie dieses Ausmasses müssen wir hoffentlich erst in etwa fünfundzwanzig bis fünfzig Jahren wieder rechnen. Prognosen sind hier aber sehr schwierig.

Welche Faktoren haben die Verbreitung des Coronavirus begünstigt?
Als einer der wichtigsten Faktoren sehe ich die Tatsache, dass es noch keine Immunität gegen dieses Virus in der Bevölkerung gab. Bei Grippeepidemien gibt es jedes Jahr Menschen, die teilimmun sind und deshalb nicht daran erkranken. Viele schützen sich durch die Grippeimpfung vor dem Influenzavirus.
Ein weiterer wesentlicher Faktor, der zur schnellen Ausbreitung von Covid-19 geführt hat, war die globale Interaktion. Durch Reisende wurde das Virus aus China in vielen Ländern eingeschleppt. In Europa sah man, welche Rolle gewisse Hotspots spielten. Ich denke hier an Ischgl. Viele Infizierte trugen das Virus nach den Skiferien mit in ihre Heimat, wo es sich durch soziale Kontakte weiterverbreiten konnte. Aus diesem Grund war es sinnvoll, als Vorsichtsmassnahme Länder mit hohen Fallzahlen auf die Quarantäneliste zu setzen.

Zur Zeit der Spanischen Grippe im Jahr 1918 starben in der Schweiz mindestens 25 000 Menschen. Könnte auch das Grippevirus eines Tages wieder sehr gefährlich werden?
Ja, das ist möglich. Im Zusammenhang mit der Schweinegrippe hat man das ja befürchtet. Glücklicherweise war das Virus aber viel weniger schlimm. Grundsätzlich können alle Viren im Lauf der Zeit mutieren. Manchmal unterscheiden sich die mutierten Viren dann so stark von ihren Vorgängern, dass keine Teilimmunität mehr in der Bevölkerung besteht und viele Menschen krank werden.

Welche Keime bergen für den Menschen in Zukunft ein besonders hohes Risiko?
Hier gibt es eine lange Liste. Zu den weltweit besonders gefährlichen Keimen gehören auch heute noch das HI-Virus, die Tuberkulose und die Malaria. Dank guter Medikamente ist HIV in der Schweiz heute kein so grosses Problem mehr. Uns bereiten vor allem Erreger Schwierigkeiten, die gegen Antibiotika resistent sind. Möglich ist aber auch in der Schweiz, dass bisher unbekannte Keime aus der Tierwelt auf den Menschen überspringen. Das kommt immer wieder vor. Allerdings sind bei solchen Erkrankungen die Fallzahlen meist nicht so hoch.

Warum gibt es heute immer mehr Keime, die resistent gegen Antibiotika sind?
Diese Entwicklung hat mit dem Antibiotikagebrauch bei Menschen und Tieren zu tun. Studien belegen, dass es in Ländern mit hohem Antibiotikaeinsatz mehr resistente Bakterien gibt. Ziel der Bakterien ist es ja, zu überleben. Wenn man also häufig Antibiotika einsetzt, werden einige Bakterien dadurch stärker werden, nicht mehr absterben und sich weiterverbreiten.
Ein grosses Problem ist der Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung zur Prävention von Krankheiten. Via Fleisch landen die resistenten Bakterien auf unserem Teller. Über die Düngung der Äcker mit Gülle gelangen resistente Bakterien aber auch auf Gemüse wie Salat oder Rüebli. Wird das Gemüse nicht gut gewaschen, gelangen die Keime in unseren Körper. Das erklärt auch, weshalb Menschen, die nie Antibiotika eingenommen haben, an resistenten Escherichia-coli-Bakterien erkranken können.

Welche resistenten Bakterien sorgen heute in Schweizer Spitälern vor allem für Probleme?
Vor einigen Jahren führten vor allem resistente Staphylokokken zu Schwierigkeiten. Heute sind es vermehrt resistente Escherichia-coli-Bakterien.

Wo liegt das Problem, wenn solche Infektionen im Spital auftreten?
Wenn Bakterien unempfindlich gegen ein bestimmtes Antibiotikum sind, schränkt dies die Auswahl an Behandlungsmöglichkeiten ein. Die Therapieoptionen werden manchmal zusätzlich limitiert, wenn Patienten auf gewisse Antibiotika wie zum Beispiel Penicillin allergisch reagieren. Häufig sind bei einer auftretenden Resistenz Antibiotika in Tablettenform nicht mehr wirksam und der Patient braucht eine Infusionstherapie, was den Spitalaufenthalt verlängert und höhere Gesundheitskosten verursacht.

Was können wir tun, um Antibiotikaresistenzen nicht weiter zu fördern?
Ich finde es wichtig, dass Patientinnen und Patienten, die zum Beispiel an Husten und Fieber leiden, ihren Arzt nicht unter Druck setzen und die Verschreibung eines Antibiotikums verlangen. Leider erhoffen sich viele Menschen bei Bagatellerkrankungen wie einer Erkältung eine raschere Heilung durch die Einnahme eines Antiinfektivums. Hinter vielen Krankheiten stecken aber Viren, die man mit Antibiotika nicht behandeln kann, da diese nur gegen Bakterien wirken. Auch eine Mittelohrentzündung beim Kind muss man nicht zwangsläufig mit Antibiotika behandeln. Nicht selten fehlt es dem Arzt aber an Zeit, dies den Eltern ausführlich zu erklären, und er greift lieber schnell zum Rezeptblock.

Was hilft uns, die Abwehrkraft gegen Keime zu stärken?
Leider gibt es viel mehr Faktoren, die das Immunsystem negativ und nicht positiv beeinflussen. Zu den negativen Faktoren gehören zum Beispiel eine Behandlung mit Cortison, eine Chemotherapie oder Medikamente, die nach einer Transplantation die Abstossung eines Spenderorgans verhindern. Unser Immunsystem können wir nur stärken, indem wir gesund leben. Dazu gehört auch genügend Schlaf und eine ausreichende Versorgung mit dem Vitamin D, das durch die Einstrahlung der Sonne auf der Haut vom Körper gebildet wird oder bei ungenügender Sonneneinstrahlung eingenommen werden kann.

* Prof. Dr. med. Christian Ruef ist Infektiologe und Internist und arbeitet sowohl als Belegarzt als auch in seiner Praxis an der Klinik Hirslanden in Zürich und an der Privatklinik Lindberg in Winterthur.