Deutsch

Kinderernährung im Zeitalter von Allergie und Intoleranz

Nahrungsmittelallergien und -unverträglichkeiten kommen bei Kindern in der Schweiz besonders häufig vor. Im folgenden Gespräch erklärt die Ernährungsberaterin Monique Mura Knüsel, was Eltern darüber wissen müssen.

Nahrungsmittelallergien und -intoleranzen sind in aller Munde. Was ist der Unterschied?
Monique Mura Knüsel: Bei einer Allergie reagiert unser Immunsystem überschiessend auf an und für sich ungefährliche Stoffe, wie zum Beispiel pflanzliche oder tierische Eiweisse, und bildet Antikörper im Blut. Eine Nahrungsmittelallergie kann zu heftigen körperlichen Reaktionen führen. Die Symptome reichen von Nesselfieber über Erbrechen und Durchfall bis zu Atemnot. Im schlimmsten Fall ist eine Schockreaktion möglich, die unbehandelt tödlich enden kann. Bei einer Nahrungsmittelintoleranz ist das Immunsystem nicht involviert. Die Beschwerden betreffen vor allem den Verdauungstrakt. Zu den Reaktionen gehören Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall, Verstopfung und Unwohlsein. Am bekanntesten ist die Unverträglichkeit von Milchzucker, die sogenannte Laktoseintoleranz.

Welche Nahrungsmittel führen bei Babys und Kleinkindern am häufigsten zu Allergien oder werden nicht vertragen?
Im ersten Lebensjahr reagieren Kinder vor allem auf Kuhmilch, Eier und Weizen. Im zweiten und im dritten Lebensjahr sind es Eier, Kuhmilch und Haselnüsse. Ab dem dritten Geburtstag wird die Rangliste von Erdnüssen, Eiern, Fisch und Meeresfrüchten angeführt.

Wie kann man eine Nahrungsmittelallergie nachweisen?
Wichtig ist, dass die Eltern ihre Beobachtungen festhalten. Bei Verdacht auf eine Allergie kann man bereits bei Babys Allergietests durchführen. Für den Nachweis braucht es einen Haut- und/oder einen Bluttest. Manchmal sind auch Provokationstests notwendig. Dabei verabreicht man dem Kind ein potenziell allergieauslösendes Nahrungsmittel unter ärztlicher Aufsicht.

Vor wenigen Jahren hat man geglaubt, dass sich Nahrungsmittelallergien bei allergiegefährdeten Kindern durch Weglassen gewisser Lebensmittel und die späte Einführung von Beikost verhindern lassen. Hier hat die Wissenschaft neue Erkenntnisse gewonnen. Wie sehen die Empfehlungen heute aus?
Wir wissen nun, dass eine strikte Diät im ersten Lebensjahr und die späte Einführung von Beikost erst nach dem sechsten Lebensmonat nicht vor Allergien schützen. Im Gegenteil, Ernährungswissenschaftler und Allergiespezialisten sind mittlerweile überzeugt, dass es sinnvoll ist, Säuglingen schon ab Ende des vierten Monats, spätestens aber im sechsten Monat Beikost zu geben. Es ist wichtig, dass Kinder früh mit potenziellen Allergieauslösern in Kontakt kommen. Dadurch wird ihr Immunsystem frühzeitig stimuliert.

Was ist, wenn ein Kind aber allergisch auf ein bestimmtes Lebensmittel reagiert oder ein Lebensmittel nicht verträgt?
Dann müssen die Eltern dieses Lebensmittel vom Speiseplan streichen. Das ist die einzige Massnahme bei einer Lebensmittelallergie oder Nahrungsmittelunverträglichkeit. Auf keinen Fall sollten die Eltern einfach von sich aus Grundnahrungsmittel vom Speiseplan streichen oder durch Alternativen ersetzen, nur weil sie eine Allergie oder Intoleranz vermuten. Wenn es um den Ersatz von Grundnahrungsmittel geht, benötigen sie eine Beratung durch eine Fachperson. Bei Kindern können manche Allergien plötzlich verschwinden. Das trifft zum Beispiel auf die Milch- und Hühnereiweissallergie zu. Deshalb lohnt es sich, etwa ein Jahr nach der Diagnosestellung zu überprüfen, ob eine Allergie noch besteht. Fischallergien verschwinden kaum. Nahrungsmittelunverträglichkeiten können auch später im Leben plötzlich auftreten.

Manche Eltern lassen Grundnahrungsmittel einfach weg, obwohl ihr Kind nicht an einer Allergie oder Unverträglichkeit leidet. Wie beurteilen Sie diesen Trend?
Das ist sehr heikel. Im Moment beobachte ich, dass die Kuhmilch bei einer zunehmenden Zahl von Eltern ein schlechtes Image hat. Für mich ist das ein Phänomen unserer Wohlstandsgesellschaft. Viele Menschen suchen Ersatzprodukte, weil sie das Gefühl haben, diese seien besser für ihre Gesundheit. So geben immer mehr Eltern ihren Kindern pflanzliche Alternativen zu Kuhmilch, obwohl nicht erwiesen ist, dass diese Vorteile haben. Wer seinem Kind keine Kuhmilch zum Trinken geben möchte, kann diese gut mit Joghurt und Käse ersetzen. Für Kinder sind zum Beispiel Reis-, Mandel-, Hafer- oder Sojadrinks keine idealen Alternativen, weil sie von Natur aus kein Kalzium enthalten. Dieses wird aber für den Knochenaufbau und die Zahnbildung benötigt. Reis-, Mandel- und Haferdrinks enthalten nur wenig Eiweiss, ein weiterer Nährstoff, auf den das Kind angewiesen ist.

Welche Milch ist denn für Kinder mit einem hohen Allergierisiko ideal?
In den ersten vier Lebensmonaten empfehlen wir volles Stillen, da Muttermilch für alle Kinder die beste Babynahrung ist. Es gibt jedoch keine wissenschaftlichen Beweise dafür, dass längeres Vollstillen bis Ende des sechsten Lebensmonats vor Allergien schützt. Seit diesem Jahr empfehlen die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung und die Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie keine Prävention mit HA-Milch mehr. Diverse Studien haben gezeigt, dass diese Milch, die lange für die Ernährung von Kindern mit hohem Allergierisiko empfohlen wurde, keine Vorteile mit sich bringt.

Wie sieht es aus, wenn ein Kind an einer Kuhmilcheiweissallergie leidet?
Dann benötigt es eine Spezialmilch. Diese wird vom Kinderarzt verschrieben und im ersten Lebensjahr auch von den Krankenkassen bezahlt, wenn das Kind nachweislich an einer Allergie leidet.

Heute bieten Grossverteiler immer mehr Produkte für Menschen mit Nahrungsmittelintoleranzen an. Sind gluten- und laktosefreie Produkte für Kleinkinder geeignet?
Leider ist es so, dass viele Eltern das Gefühl haben, dass gluten- oder laktosefreie Produkte besser für die Gesundheit ihres Kindes sind. Das ist falsch. Diese Produkte sind ein Segen für Menschen, die Gluten oder Laktose nicht vertragen und sind wirklich nur für diese Zielgruppe konzipiert. Geben Eltern ihrem Kind, das Kuhmilch gut vertragen würde, laktosefreie Milch, steigt sein Risiko für eine Laktoseintoleranz. Der Grund: Sein Körper musste sich nie daran gewöhnen, Milchzucker abzubauen.

So erkennen Sie, ob Ihr Kind ein Nahrungsmittel nicht verträgt

  • Gehen Sie bei der Einführung von neuen Lebensmitteln schrittweise vor.
  • Wenn Sie ein neues Lebensmittel einführen, zum Beispiel Karotten in Form von Püree, sollte Ihr Kind den gleichen Brei während mindestens drei aufeinanderfolgender Tage erhalten.
  • Für die ersten Breie reicht eine Gemüse- oder Früchtesorte aus.
  • Zeigt Ihr Kind weder Verdauungsprobleme, Hautprobleme noch andere körperliche Probleme, können Sie davon ausgehen, dass es das neue Lebensmittel verträgt.

*Monique Mura Knüsel arbeitet als Ernährungsberaterin am Kantonsspital Aarau mit Schwerpunkt Kinder und in ihrer Praxis in Baar.