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Macht Schenken glücklich?

Manche Menschen schenken freudig, andere empfinden den Austausch von Geschenken als mühselige Pflicht oder als überflüssiges Ritual. astreaAPOTHEKE geht der Frage nach, was der Vorgang des Schenkens bewirken kann.

Zuverlässig wie die Adventszeit tritt in den Wochen vor Weihnacht der Begriff «Geschenkerummel» auf den Plan. Das alle Jahre wieder reanimierte Lamento will hektisches Weihnachtsshopping, glühweinunseliges Weihnachtsmarktgedränge und insgesamt die Kommerzialisierung des Festes anprangern. Zuweilen kann man sich allerdings des Eindrucks nicht erwehren, der missionarische Eifer sei nicht ganz frei von Selbstgerechtigkeit: Wenn ich den «Weihnachtsrummel» verabscheue und mich von ihm fernhalte, gehöre ich einer Kategorie Mensch an, die höheren und edleren Werten verpflichtet ist – oder etwa nicht?

orweihnächtlicher Kaufrausch kann ohne Frage beinahe so ansteckend wirken wie ein grippaler Infekt. Jedoch: Niemand wird zu einem Geschenke-Marathon gezwungen. Mit Herz, Vernunft und Verstand darf und soll man genau das auswählen, kaufen oder selbst anfertigen, was in der jeweiligen Situation tragbar und angemessen ist. Auf der Suche nach dem richtigen Mass bei der Wahl von Geschenken und bei der Planung von festtäglichen Einladungen tut man gut daran, regelmässig die Temperatur der individuellen Gemütsverfassung zu messen: Will man mit einem übertrieben grosszügigen Geschenk vielleicht nicht bloss Freude bereiten, sondern jemanden beeindrucken oder übertrumpfen? Soll ein teures Geschenk das schlechte Gewissen beruhigen, das einem zuflüstert, man habe es an Zeit und Zuwendung fehlen lassen? Will man mit dem üppigen Fünfgang-Weihnachtsessen in erster Linie sein überragend hohes Kochkunstniveau zur Schau stellen? Kurze, aber ehrliche Selbstbefragungen können den oft zitierten Weihnachtsstress erheblich reduzieren und vor Fehlleistungen bewahren. Nur Mut: Manchmal ist weniger tatsächlich mehr.

Geschenk-Wahl: Nicht immer Qual

Unter Umständen kann es schwierig oder sogar anstrengend sein, ein passendes Geschenk zu finden – vor allem für einen Menschen, der vermeintlich schon «alles» hat. Aber hat man nicht schon oft erfahren, dass sich die Vorfreude mindestens so positiv und herzerwärmend auf das körperliche und seelische Wohlbefinden ausgewirkt hat wie das freudige Erleben selbst? Das Planen und Auswählen von Geschenken kann einen stimulierenden Effekt auslösen. Unsere Kreativität wird angeregt, Fantasie ist gefragt. Die Ausgangslage erfordert, dass wir uns in einen Mitmenschen einfühlen, uns in ihn hineindenken.

Gegensätzlichkeiten zwischen dem Mir und dem Dir treten kurzzeitig in den Hintergrund. Das empathische Hirnsystem, das oft hinter dem strategischen Denken zurückstehen muss und vielleicht sogar schon etwas verkümmert ist, wird aufgerufen und herausgefordert – selbst dann, wenn wir uns auf der sicheren Seite bewegen und uns bei der Auswahl auf die Bereiche Körperpflege und Wohlgerüche oder Essen und Trinken beschränken. Unversehens spüren wir, dass die Wahl nicht Qual ist, sondern durchaus Spass machen kann. Der Prozess des Überlegens und Bemühens kann Freude bringen und damit einen Gewinn bescheren, den uns niemand nehmen kann. Der kluge Seemann und Dichter Joachim Ringelnatz brachte diesen Gedanken im Gedicht «Schenken» prägnant zur Geltung: «Schenke herzlich und frei/Schenke dabei, was in Dir wohnt an Meinung, Geschmack und Humor/sodass die eigene Freude zuvor/Dich reichlich belohnt.»

Das Geschenk der Versöhnung

Das Weihnachtsfest und Silvester/Neujahr sind Jahresstationen, die häufig mit Sehnsüchten und grossen Erwartungen überfrachtet werden. Die Familie soll sich friedlich am Tisch und vor dem Weihnachtsbaum vereinen und fröhlich feiern. Aber da wirft eine Cousine, bekannt für ihre böse Zunge, eine unpassende und verletzende Bemerkung in die Runde – dahin ist die gute Stimmung. Oder das pubertierende Kind motzt und mault, lässt seinem Unbehagen über die seiner Meinung nach schwachsinnigen Familienrituale – «Weihnachtslieder singen, wie blöd ist das denn!» – freien Lauf und rennt mit Türenknallen in sein Zimmer. Oma hätte lieber traditionsgemäss Dörrbohnen und «Schüfeli» gegessen statt des exotischen Gerichts, das ihre Tochter mit viel Eifer und Aufwand zubereitet hat – und die sitzt nun beleidigt da und kämpft mit den Tränen. Feierlich werden die Kerzen entzündet, jedoch – «Erna, der Baum nadelt!»: Es kann immer zu irgendwelchen festtäglichen Entgleisungen kommen, an die man sich dann später meist lachend erinnert.

Mit einem höheren Schwierigkeitsgrad und einer Menge strategischer und logistischer Probleme sehen sich Patchworkfamilien konfrontiert: Wer feiert wann bei wem und wer ist wofür zuständig – und wie lassen sich die festlichen Tage so arrangieren, dass sich niemand benachteiligt fühlen muss und die Kinder ein möglichst schönes und harmonisches Fest erleben? Noch schwieriger stellt sich die Lage dar, wenn Menschen arg zerstritten sind, sich den Weg zueinander verbaut haben, sich in ihrer Unversöhnlichkeit einigeln, sich vom immer neu aufsteigenden Groll terrorisieren lassen – und insgeheim hoffen, die Weihnachtstage möchten eine Wende herbeiführen. Unversöhnlichkeit bremse uns aus, mache uns unfrei, belaste uns und mache uns zu Opfern, sagt die Psychologieprofessorin und Autorin Verena Kast. Sie weiss allerdings auch, dass Verzeihen und Versöhnen ein langwieriger und harter Prozess sein kann – und wenn alles zu einem guten Ende kommt, ist dies ein Geschenk, wenn nicht gar Gnade. In manchen Fällen, so Verena Kast, kann schon ein einseitig getroffener Entschluss Entlastung bringen: «Es ist, wie es ist. Ich will mich nicht noch länger und während meines ganzen restlichen Lebens mit dieser Sache herumärgern. Ich verzeihe dem Menschen, der sich wohl kaum je ändern und mich um Entschuldigung bitten wird. Ich ermächtige mich, es gut sein zu lassen.» Wer in diesem Sinne einen Akt der Versöhnung vollziehen kann, macht sich selbst ein unbezahlbares Geschenk.

Heilmittel Zufriedenheit

Zurück zum Beschenken: Der Physiker, Philosoph und Wissenschaftsjournalist Stefan Klein landete 2002 mit seinem Buch «Die Glücksformel oder wie gute Gefühle entstehen» einen Bestseller, der in mehrere Sprachen übersetzt worden und unverändert aktuell geblieben ist. Auf die Frage, ob Geben entsprechend dem Bibelwort tatsächlich seliger mache denn Nehmen, erklärte Klein vor zwei Jahren in einem Interview, dass beim Akt des Gebens im Hirn das körpereigene Glückshormon Dopamin ausgeschüttet werde. Dessen wohltuender Effekt halte sogar länger an als dies beispielsweise beim Genuss von Schokolade oder gutem Sex der Fall sei. «Wer gern schenkt, ist generell zufrieden mit seinem Leben und grundsätzlich freudiger. Die Grosszügigen leben sogar gesünder und auch länger als Raffgierige.»

Heute kann wissenschaftlich nachgewiesen werden, dass in unserem Gehirn verschiedene Hormone ausgeschüttet werden, wenn wir uns um Mitmenschen kümmern und sie im weitesten Sinn beschenken – sei dies materiell, mit Zeit, Zuwendung oder spontanem, hilfreichem Beistand. Dass die Geste des Schenkens ein Gefühl von Zufriedenheit in uns wachruft, weiss auch die Weisheit des Märchens. In den verschiedensten Kulturen erzählen Märchen von Individuen, die von ihrem Geiz, ihrer Raffgier und Hartherzigkeit in Krankheit und Unglück getrieben werden, und andererseits von Menschen, deren Grosszügigkeit, Selbstlosigkeit und Güte reich belohnt werden. Besteht die Belohnung im Empfinden tiefer Zufriedenheit, ist dies mit Sicherheit für Körper und Geist ein positives Stimulans. Mehr noch als berauschende Glücksmomente kann Lebenszufriedenheit zur Stabilisierung der Gesundheit beitragen und die Widerstandskräfte stärken.