Deutsch

Mobbing in der Schulklasse

Wann sprechen Experten von Mobbing? Gibt es das typische Opfer, den typischen Täter? Wie können Eltern und Lehrpersonen diesen verdeckt passierenden Vorgang bei Kindern erkennen? Fachberaterin Monika Hauser* klärt auf.

Regina Speiser

Der neunjährige Hans hat wenig Selbstvertrauen und wehrt sich nicht, wenn er verbal oder physisch angegriffen wird. Das nutzt eine Gruppe Mitschüler aus und beginnt, ihn zu schikanieren. Erst hänseln sie ihn mit Worten, mit der Zeit nehmen sie ihm Schulsachen weg, später machen sie diese auch kaputt und zuletzt verprügeln sie ihn auf dem Schulweg. Niemand hilft ihm. Hans schämt sich. Es ist ihm unangenehm, dass er von seinen Schulkameraden nicht akzeptiert wird und er erzählt es niemandem. Zu Hause erfindet er Ausreden für kaputte oder fehlende Schulsachen. Er hat Angst, dass die Schikanen noch schlimmer werden, wenn er es seinen Eltern oder der Lehrerin erzählt. Erst als seine Schulleistungen markant nachlassen und er oft über Bauchschmerzen klagt, merken seine Eltern und Lehrpersonen, dass etwas nicht stimmt. Zu diesem Zeitpunkt wurde Hans schon über mehrere Wochen gemobbt.

Was genau ist Mobbing?

Wenn eine Person über eine längere Zeitspanne wiederholt von anderen Mitmenschen beleidigt, abgewertet, ausgeschlossen, schikaniert oder geschlagen wird, spricht die Fachwelt von Mobbing. Der Begriff «Mobbing» kommt aus dem Englischen. Das Verb «to mob» bedeutet belästigen, anpöbeln; das Substantiv «the mob» bezeichnet eine aufgewiegelte Volksmenge oder allgemein auch eine Meute oder Bande.

«Dem Mobbing liegt immer ein berechnendes System einer Gruppe gegen einen Einzelnen zugrunde», erklärt die Fachberaterin Monika Hauser. Die Gruppe besteht meist aus einem, manchmal aber auch aus mehreren Tätern, aus Mitläufern, Zuschauenden und Unbeteiligten. Die Rollen sind verteilt, können sich aber auch verändern. Ziel der Täterin oder des Täters ist es, einen hohen sozialen Status innerhalb der Gruppe zu erlangen und aufrechtzuerhalten. «Es geht um Anerkennung und Macht.»

Schikaniert eine Gruppe aber nur ein- oder zweimal ein Opfer oder entfacht sich ein Konflikt zwischen zwei Kindern, selbst wenn sie wiederholt aneinandergeraten, so ist das kein Mobbing.

Mobbing kann jeden treffen

Die ständigen Angriffe und Verletzungen eines Menschen können bis zu drei Eskalationsstufen durchlaufen:

  1. In der Testphase sucht sich die Täterin oder der Täter ein Opfer. Als Opfer eignen sich beispielsweise: Schüchterne Schüler, solche, die sich nicht wehren mögen, aber auch Kinder, die sich besonders heftig zur Wehr setzen oder die beispielsweise wegen ihres Haarschnitts, ihrer Art zu lachen oder ihrer Vorlieben für bestimmte Buchhelden ins Visier eines Täters geraten. Die Gründe sind äusserst vielfältig und für Aussenstehende schwer zu fassen. «Mobbing ist kein Schichten- oder Herkunftsproblem.» Opfer wird, wer keine Unterstützung von anderen Kindern hat.
  2. In der Konsolidierungsphase werden die Rollen von Tätern, Mitläufern, Zuschauern und dem Opfer gefestigt. Allmählich verändert sich für die Mitläufer der Werte- und Normenrahmen. «Es wird normal, dass man das Opfer schikaniert.»
  3. In der Manifestationsphase werden die psychischen wie physischen Gewalthandlungen immer schlimmer. Die Mitläufer erleben die Gewalthandlungen nun als gerechtfertigt. «Sie sind überzeugt, das Opfer sei ja selbst schuld.»

Schwierig zu erkennen

Das Schikanieren laufe oft subtil ab, sagt Monika Hauser. Da viele Opfer die für sie erniedrigenden Erlebnisse verdrängen, sich schämen oder Angst haben, sei es selbst für Nahestehende enorm schwierig, Mobbing zu erkennen. Dabei sei Mobbing weitverbreitet. Hauser schätzt, dass Mobbing in jeder zweiten Schulklasse, vom Kindergarten bis und mit Oberstufe, vorkomme. Sie rät Eltern und Lehrpersonen, hellhörig zu werden, wenn das Kind über Kopf- oder Bauchschmerzen klage, sich zurückziehe, lustlos wirke, sich die Schulleistungen verschlechtern, Kleider und Gegenstände oft kaputt seien oder das Kind unerklärbare Verletzungen aufweise.

Die Fachberaterin für Mobbingintervention wird von Lehrpersonen oft in Klassen gerufen, die als «schwierig» bezeichnet werden, um dort anhand eines «Sozialtrainings» mit den Kindern und Jugendlichen an Themen wie Ehrlichkeit, Mut und Respekt zu arbeiten. Automatisch mache sie dann jeweils eine «Mobbingabfrage». Die Kinder dürfen aufschreiben, was sie am Verhalten der Mitschüler stört und wer in der Klasse am meisten beleidigt oder ausgeschlossen wird. Nennt mindestens ein Drittel der Klasse denselben Namen, spricht Hauser mit der Lehrperson, dem betroffenen Kind und den Mitschülern.

Emotionale Betroffenheit

Auf eine von Fachpersonen durchgeführte Klassenintervention wird das Opfer gemeinsam mit seinen Eltern vorbereitet. Ziel der Intervention ist, die Tätergruppe emotional betroffen zu machen. Die Klasse muss alle Gewalthandlungen detailliert aufschreiben und sich überlegen, wie sich das Opfer dabei fühlt. «Emotionale Betroffenheit löst Veränderung aus.» Die Klassenlehrperson führt nach dem Sozialtraining und der Mobbingintervention die Arbeit weiter, um eine Nachhaltigkeit zu erzielen. Die Schüler arbeiten in dieser Zeit an ihrer Sozialkompetenz und Selbstkontrolle. Rückfälle werden sanktioniert.
«Mobbing ist systemisch und kann nur durch eine professionell geführte Intervention mit allen Beteiligten bearbeitet werden.» Präventiv können Lehrpersonen kontinuierlich an den sozialen und persönlichen Kompetenzen der Schüler arbeiten, Verhaltensregeln in der Klasse klar bekannt geben und konsequent einfordern. Beim geringsten Verdacht auf Mobbing sollten Eltern wie Lehrpersonen miteinander sprechen und ihre Beobachtungen austauschen. Beim Kind selber sollte nur ganz vorsichtig nachgefragt werden.

Das darf man bei Verdacht auf Mobbing auf keinen Fall tun

  • Ignorieren.
  • Bagatellisieren.
  • Dem Opfer die Schuld zuweisen.
  • Täter vor einer Mobbingintervention
    bestrafen – das ändert sein Empfinden dem Opfer gegenüber nicht und die
    Gewalthandlungen gehen weiter.
    -Eltern von Täter und Opfer an einen
    Tisch setzen – Eltern verteidigen ihre eigenen Kinder, was bei den anderen
    Eltern Unverständnis und Aggressionen hervorruft.
  • Nur mit den Tätern sprechen.
  • Monika Hauser arbeitet als Schulsozialarbeiterin an einer Primarschule in Bülach. Die Sozialpädagogin hat sich ausserdem zur Fachberaterin für Sozialtraining und systemische Mobbingintervention für Kinder und Jugendliche weitergebildet und bietet zusammen mit ihrer Arbeitskollegin Sascha Lüthi auf Anfrage Sozialtrainings und Mobbinginterventionen in Schulen an. www.starke-klassen.ch