Deutsch

Osteoporose: Ein abwendbares Schicksal

Jede zweite Frau und jeder fünfte Mann in der Schweiz sind von Knochenschwund betroffen. Im folgenden Interview beantwortet Dr. Ina Krull, Osteoporose-Spezialistin am Kantonsspital St. Gallen, Fragen zu jener Krankheit, die Knochen brüchig werden lässt.

Was versteht man unter Osteoporose?
Dr. Ina Krull*: Unser Knochengewebe verändert sich während des Lebens permanent. In der Kindheit und Jugend wird es aufgebaut und ab dem dritten Lebensjahrzehnt kommt es zu einem stetigen, altersbedingten Abbau der Knochenmasse. Von Osteoporose spricht man dann, wenn Knochengewebe übermässig abgebaut und damit die Struktur der Knochen zerstört wird. Die Knochen verlieren ihre Festigkeit und brechen dadurch leichter.

Osteoporose manifestiert sich vor allem in der zweiten Lebenshälfte. Weshalb?
Bei Frauen wird die Knochenstruktur vermehrt nach der Menopause abgebaut, weil der Schutz durch das Sexualhormon Östrogen wegfällt. Ist die Knochendichte durch Vorerkrankungen, eine unzureichende Zufuhr von Calcium und Vitamin D sowie durch Bewegungsmangel zu Beginn der Menopause vermindert, steigt das Risiko für eine Osteoporose. Von Knochenschwund sind auch Männer betroffen.  Bei ihnen gilt es ebenfalls, erste Anzeichen rechtzeitig zu erkennen.

Welche Anzeichen sprechen für die Krankheit?
Wenn die Körpergrösse um fünf Zentimeter abnimmt, sich ein Rundrücken bildet und der Rücken neuerdings schmerzt, können Wirbelkörperbrüche dafür verantwortlich sein. Weitere Zeichen, die für eine Osteoporose sprechen können, sind Hautfalten am Rücken in Form eines Tannenbaums oder ein Knochenbruch ohne schwere Gewalteinwirkung.

Welche Faktoren begünstigen die Entstehung von Osteoporose sonst noch?
Unter anderem der vorzeitige Eintritt in die Menopause durch Östrogenmangel, längere Cortisontherapien, Untergewicht und Essstörungen, eine Calcium-Unterversorgung, zum Beispiel wenn jemand an einer Laktoseintoleranz leidet, Nikotin und ein übermässiger Alkoholkonsum. Osteoporose tritt zudem gehäuft bei Menschen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen oder mit rheumatischen oder hormonellen Erkrankungen auf. Auch die Gene spielen eine gewisse Rolle. So ist das Risiko für die Krankheit bei direkten Nachkommen von Menschen, die einen osteoporosebedingten Oberschenkelbruch erlitten haben, erhöht.

Osteoporose ist kein unabwendbares Schicksal. Mit welchen Massnahmen kann man der Krankheit vorbeugen?
Zu den beeinflussbaren Risikofaktoren zählen die Ernährung und die körperliche Aktivität. Neben einer ausreichenden Calcium- und Vitamin-D-Versorgung benötigen unsere Knochen Eiweiss zur Erhaltung der Struktur und der Festigkeit. Calcium ist vor allem in Milchprodukten und Mineralwasser enthalten. Vitamin D, das vom Organismus unter Sonneneinwirkung gebildet wird, fördert die Calcium-Aufnahme aus dem Darm und die Mineralisierung der Knochen. Insbesondere bei älteren Personen und in den Wintermonaten ist ein Vitamin-D-Mangel häufig und sollte ausgeglichen werden. Durch regelmässige Bewegung wird die Knochenneubildung angeregt. Ideale Sportarten sind Wandern, Spazieren, Tanzen und Nordic Walking sowie moderates Krafttraining, das die Rückenmuskulatur und das Gleichgewicht stärkt, was vor Stürzen und Knochenbrüchen schützt.

Alle dreissig Sekunden bricht sich in Europa ein Mensch durch Osteoporose bedingt einen Knochen. Welches sind mögliche Folgen von Knochenbrüchen im Alter?
Für ältere Menschen ist jeder Knochenbruch eine enorme Belastung. Nach einer Oberschenkelhalsfraktur sterben etwa dreissig Prozent der Betroffenen an den Folgen. Dreissig Prozent sind nach einem Bruch dauerhaft auf Pflege und Hilfsmittel angewiesen. Auch Wirbelbrüche verursachen bei Betroffenen Schmerzen und erhöhen die Sterblichkeit.

Sollten Osteoporose-Betroffene nicht besser auf Sport verzichten, um sich vor Knochenbrüchen zu schützen?
Nein, ganz im Gegenteil. Bewegung wirkt sich positiv auf den Knochenstoffwechsel aus. Zudem fördert Sport den Gleichgewichtssinn und die Reaktionsfähigkeit. Das schützt vor Stürzen. Osteoporose-Patientinnen und -Patienten sollten jedoch auf Risikosportarten, zum Beispiel Kampfsportarten, verzichten.

Wie wird Osteoporose diagnostiziert?
Die Erhebung der Krankengeschichte ermöglicht eine Erfassung und Beurteilung der Risikofaktoren. Im Verdachtsfall wird eine Knochendichtemessung durchgeführt.

Welche Behandlungsmöglichkeiten stehen heute zur Verfügung?
Zur Behandlung der Osteoporose werden heute Medikamente eingesetzt, die den Knochenabbau hemmen oder den Knochenaufbau stimulieren. Welche Behandlung im Einzelfall geeignet ist, sollte mit den behandelnden Ärzten besprochen werden. Auf eine begleitende ausreichende Calcium- und Vitamin-D-Versorgung sowie einen aktiven Lebensstil sollte jedoch immer geachtet werden.

Tipps zur Prävention von Osteoporose

Achten Sie auf …

  • eine ausreichende Zufuhr von Calcium (Milchprodukte und Mineralwasser).
  • eine bedarfsgerechte Versorgung mit Vitamin D (800 IE täglich sind im Alter empfehlenswert).
  • eine ausreichende Zufuhr von pflanzlichem und tierischem Eiweiss (bei Bedarf auch in Form eines hochwertigen Proteindrinks).
  • eine ausgewogene Ernährung mit viel Gemüse, Salat und Obst.
  • Ihr Gewicht. Untergewicht fördert Osteoporose. Übergewicht schadet dem ganzen Organismus.
  • regelmässige Bewegung (zu den idealen Sportarten gehören Spazieren, Walking, Nordic Walking, Wandern, Tanzen, Schwimmen, Gymnastik, moderates Krafttraining und medizinische Trainingstherapie).

So schützen Sie sich vor Stürzen

  • Überprüfen Sie Ihre Sehschärfe.
  • Vermeiden Sie nach Möglichkeit Medikamente, die zu Schwindel und Gleichgewichtsstörungen führen.
  • Tragen Sie gutes Schuhwerk.
  • Verwenden Sie Gehstöcke oder einen Rollator, wenn Sie sich nicht mehr ausreichend sicher auf den Beinen fühlen.
  • Beseitigen Sie Stolperfallen in Ihrem Haushalt, wie z. B. schlecht verlegte Kabel, abstehende Teppichränder.
  • Sorgen Sie für gute Lichtverhältnisse in Ihrer Wohnung.
  • Vermeiden Sie Böden und Unterlagen, die nicht rutschfest sind.
  • Dr. Ina Krull ist medizinische Leiterin der Osteologischen Sprechstunde am Kantonsspital St. Gallen.