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Tiergestützte Therapie

Tiere können dem Menschen Weg- oder gar Lebensbegleiter sein. Dass sie überdies auf der therapeutischen Ebene Beistand zu geben vermögen, weiss die dipl. Physiotherapeutin Gaby Zbinden, die zusätzlich über eine Ausbildung in tiergestützter Therapie verfügt.

Gaby Zbinden, stimmt es, dass der Blutdruck eines Menschen sinkt, wenn er eine Katze streichelt?
Gaby Zbinden*: In wissenschaftlichen Studien ist nachgewiesen worden, dass bei diesem nahen Kontakt mit einer Katze oder auch einem Hund die Endorphine, die Glückshormone, im Blut des Menschen ansteigen. Sehr gut messbar war auch die Senkung der Blutdruckwerte – und zwar sowohl beim Menschen als auch beim Tier. Voraussetzung für diese beidseitige Harmonisierung ist aber die übereinstimmende Freiwilligkeit. Mensch und Tier müssen sich in dieser Situation wohlfühlen.

Die tiergestützte Therapie kennt verschiedene Formen, so etwa die Hippotherapie mit Pferden oder Therapie mit Lamas oder Ziegen. Wird auf allen Ebenen vor allem eine Stabilisierung der seelisch-psychischen Gesundheit angestrebt?
Oft darf diese Wirkung erwartet werden. Das Therapieziel kann sich aber auch auf körperliche Bereiche fokussieren. Tiergestützte Therapie baut jedoch immer auf einem Fachbereich auf: Physiotherapie, Ergotherapie, Logotherapie oder Psychotherapie und ebenso Pädagogik oder in Bereichen der Sozialarbeit. In diesen Grundberufen können Tiere im übertragenen Sinn Türen öffnen und den therapeutischen Prozess unterstützen.

Der jeweilige Therapeut oder die Therapeutin entscheidet, ob er/sie Tiere als Co-Therapeuten beiziehen will?
Ja, und meist hat der Entscheid mit dem individuellen Lebensumfeld und der Lebensgeschichte zu tun. Das Dreigespann Klient-Tier-Therapeut ist anspruchsvoll. Das Angebot tiergestützte Therapie hat nicht allein mit Tierliebe, sondern mit Kompetenz und einem beträchtlichen Zeitaufwand zu tun. Die vierzehn Schafe, die mich bei meiner Arbeit im Alters- und Pflegeheim der Stiftung Hofmatt in Münchenstein begleiten, brauchen jeden Tag Fürsorge, ich stehe auch in meiner Freizeit mit ihnen in Beziehung. Ich kann nicht einfach jede Woche an einem bestimmten Tag mit meiner kleinen Herde losziehen und sie zu den Menschen führen, sondern muss die Eigenheiten und den Charakter eines jeden Tieres kennen und respektieren. Das eine Schaf lässt sich gerne berühren und streicheln, ein anderes will keinen allzu nahen Kontakt zum Menschen und hält lieber etwas Abstand.

Sie habe vorhin erwähnt, dass Tiere als Türöffner wie eine Art Co-Therapeuten tätig sein können. Wie muss man sich dies konkret vorstellen?
Nehmen wir als Beispiel die Logopädie. Ist ein Tier im Raum anwesend, kann sich ein Kind rascher wohlfühlen und es beginnt, freier und offener zu sprechen. Bei der Hippotherapie mit MS-Patienten ist eines der Therapieziele mit Unterstützung des Pferdes die Senkung der Muskelanspannungen: Der Rhythmus der Bewegungen des Pferdes überträgt sich auf das Becken des Patienten und verändert so positiv seinen gesamten Muskeltonus. Tiergestützte Therapie kann auf der körperlichen, der psychischen und der emotionalen Ebene wirksam werden. Um auf das Beispiel Hippotherapie zurückzukommen: Der Patient fühlt den Bewegungsablauf des Tieres, er ist an der frischen Luft – und so ist er oft motivierter und entspannter als in der klassischen Physiotherapie. Selbst die Freude, dem Pferd zum Abschluss eine Karotte reichen zu dürfen, kann auf der seelischen Ebene zusätzlich stabilisierend wirken.

Dem jeweils angestrebten Therapieziel ist es vermutlich förderlich, wenn der Therapeut das Tier oder die Gruppe von Tieren selbst ausgebildet hat?
Dies wäre in der Tat von Vorteil, denn das Tier braucht für diese Aufgabe eine starke Bindung und ein tiefes Vertrauen zu seiner Bezugsperson. Oskar, eines der Minischweine, die hier in der Stiftung Hofmatt leben, betritt beispielsweise das ihm etwas unheimliche Liftgehäuse nur in meiner Begleitung. Ich muss ihm Sicherheit geben, wenn er auf dem Flur vielleicht vom Ruck eines Rollstuhls, vom ungewohnten Gangmuster eines Bewohners oder von ihm fremden Gerüchen irritiert wird.

Bei der tiergestützten Therapie geht es nie um Dressur des Tieres?
Dressur ist kein Thema, das Tier muss behutsam an die Situationen in seinem Umfeld gewöhnt werden. Es geht um ein einfühlsames und sorgfältiges Training und einen intensiven Vertrauensaufbau zu Menschen. Nur ein Tier, das frei von Stress ist, kann im therapeutischen Sinn wirksam sein. Wie ich schon sagte, gehört der Respekt vor der Individualität des Tieres ganz wesentlich zur stressfreien Begegnung zwischen Tier und Mensch. Unser weisses Huhn mit Namen Sissi mag es, wenn es auf dem Schoss gehalten und gestreichelt wird. Ein anderes Huhn wiederum frisst dem Besucher aus der Hand, will aber nicht hochgehoben werden.

Auffallend ist, dass Sie immer wieder auf ein Prinzip zu sprechen kommen, das eigentlich auch in der Beziehung zwischen Menschen stärker beachtet werden sollte: Der Respekt vor der jeweiligen Individualität.
Da stimme ich Ihnen zu. Wir haben hier im Altersheim acht Hühner, und das sind acht verschiedene Persönlichkeiten. Bei uns leben überdies vier Minischweine, nicht alle wollen auf dieselbe Weise arbeiten. Schwein Moritz möchte nie allein unterwegs sein, sondern braucht immer die Begleitung eines Artgenossen – Oskar dagegen ist gerne allein. Das eine Tier mag Herausforderungen, ein anderes ist eher zurückhaltend.
Ab und zu erwerben sich Leute einen Hundewelpen in der guten Absicht, ihn im Alter von zwei Jahren zum «Therapiehund» für Spitalbesuche auszubilden. Sicher ein erstrebenswertes Ziel, aber vielleicht ist die Persönlichkeit dieses Tieres für solch eine Aufgabe nicht angelegt. Es gilt zu respektieren, dass nicht jedes Tier als Co-Therapeut arbeiten möchte.

Artgerechte Tierhaltung wird in der tiergestützten Therapie offensichtlich sehr hoch gewichtet?
Ja, wenn die therapeutische Wirkung gut sein soll, muss der individuelle Umgang mit dem Tier sehr differenziert gestaltet werden. Spüre ich zum Beispiel, dass das sonst sehr zutrauliche Huhn Rosalie an einem bestimmten Tag aus irgendeinem Grund nicht gut gelaunt ist, dann darf es sich zurückziehen. Diese Sorgsamkeit wird in der tiergestützten Therapie aber auch dem Patienten, dem Klienten oder dem Heimbewohner entgegengebracht. Ich bin die Vermittlerin und muss spüren, wie sich der Mensch bei der Begegnung mit dem Tier fühlt. Je nach Situation bleiben wir in der jeweiligen Aktivität oder wir machen eine Pause oder brechen ab.
In der tiergestützten Therapie setzen wir das Tier in dem Sinne ein, als es Freude und Wohlbefinden vermittelt und so die Lebensqualität von uns Menschen verbessern kann.

* Gaby Zbinden, Mutter von vier Kindern, ist dipl. Physiotherapeutin und hat sich an der Universität Basel in tiergestützter Therapie ausbilden lassen. In der Basler Klinik für Neurorehabilitation konnte sie im Bereich Hippotherapie Erfahrungen sammeln. Heute ist sie in Münchenstein BL im Alters- und Pflegeheim der Stiftung Hofmatt tätig, die auch tiergestützte Therapie anbietet.