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Wenn Panikattacken zuschlagen

Wer eine Panikattacke erleidet, erlebt Beklemmung und Angst. Dr. med. Dietmar Hansch, Facharzt für Innere Medizin und Psychotherapie, befasst sich intensiv mit Angsterkrankungen.

Herr Dr. Hansch, nehmen wir an, jemand sitzt in einem Konzertsaal. Völlig unvermittelt beginnt sein Herz zu rasen, er wird von panischer Angst gepackt und hat den Drang, den Saal fluchtartig zu verlassen. Kommt eine Panikattacke aus heiterem Himmel?
Dr. med. Dietmar Hansch*: Die ersten Panikattacken kommen gefühlt immer aus heiterem Himmel, dies ist geradezu das Definitionskriterium. Je öfter man eine Panikattacke erlebt, desto stärker wird die Erwartungsangst: Man fürchtet, in eine Situation zu geraten, aus der man nicht flüchten kann. Eine ausgeprägte Erwartungsangst kann sich dann zur Panikattacke steigern.

«Aus heiterem Himmel» bedeutet, dass man keine Warnsignale bekommt?
Manche Patienten nehmen beispielsweise das Gefühl von Luftnot oder ein flaues Gefühl im Magen als Vorboten wahr. Panikattacken können überdies mit Herzrasen, Übelkeit, Magen-Darm-Beschwerden, Mundtrockenheit, Schweissausbrüchen, Hitze- oder Kälteschauern oder auch mit Kribbelempfindungen auf der Haut, also mit Ameisenlaufen, einhergehen. Eine Panikattacke dauert in der Regel zehn bis dreissig Minuten.

Sind Panikattacken häufig eine Begleiterscheinung von Stress?
Ja, das ist sehr oft der Fall. Angsterkrankungen, zu denen die Panikstörung gehört, gehen nicht selten eine Lebensphase mit erhöhten Stressbelastungen voraus. Im Grunde ist Angst eine Steigerung von Stress und Panik die maximale Steigerung von Angst.

Haben Panikattacken zuweilen mit verdrängter Wut und/oder einem tiefen Missbehagen gegenüber der aktuellen Lebenssituation zu tun?
Selbstverständlich, denn Wut ist eben auch eine Form von Stress. Und wenn ich meine Lebenssituation wie eine Falle empfinde, aus der es kaum ein Entrinnen gibt, ist dies ebenfalls hochgradiger Stress.

Sind zu Perfektionismus und Selbstzweifeln neigende Menschen besonders anfällig für Angsterkrankungen?
Wer ganz starre und differenzierte Vorstellungen hat, wie die Dinge und Umstände zu sein haben, wird im Alltag stressanfälliger und kann in den Angstbereich geraten. Sicher ist, dass die meisten Angsterkrankungen bei Frauen deutlich häufiger auftreten als bei Männern. Möglicherweise sind Frauen angstbereiter oder aber es fällt ihnen leichter, über psychische Probleme zu sprechen und diese abklären zu lassen. Generell gibt es eben auch Menschen, die besonders stark zu Ängstlichkeit neigen, man spricht dann von einer ängstlich vermeidenden Persönlichkeitsakzentuierung.

Gehören Verlustängste oder Zukunftsangst ebenfalls zu den Panikattacken-Treibern?
Diese beiden Angstformen sind typische Bestandteile jener bereits erwähnten Stressphasen, die oft dem Ausbruch von psychischen Störungen vorausgehen. 

Der Chefredaktor einer grossen deutschen Zeitung soll nicht in der Lage gewesen sein, den grossen Platz vor dem Redaktionsgebäude allein zu überqueren. Er musste immer begleitet werden. Um welche Angstform ging es da?
Eindeutig um Agoraphobie, um Platzangst. Viele agoraphobische Situationen haben mit genetisch gespeicherten Erinnerungen an steinzeitliche Gefahren zu tun. Die Furcht vor grossen Menschenmengen erinnert an herandrängende Tierherden, vor denen der Steinzeitmensch flüchten musste. In der Steinzeit war der einzelne Mensch auf grossen, freien Flächen für Raubfeinde gut sichtbar. Heute kann Platzangst damit zu tun haben, nicht für alle gut sichtbar einen Schwächeanfall zu erleiden. Oder man hat Angst, bei Gefahr nur schwer Hilfe zu bekommen oder keinen Fluchtweg zu finden. 

Gehen manche psychischen Erkrankungen mit Angststörungen einher?
Ja, die Grenzen sind hier in vielen Richtungen fliessend. Wer ein Burn-out hat, kann Zukunftsängste entwickeln: Werde ich wieder so leistungsfähig sein wie zuvor? Wie sicher ist mein Arbeitsplatz? Ferner gibt es körperliche Erkrankungen, denen sich eine Angststörung überlagern kann – was etwa beim Asthma oder bei Diabetes mit Unterzuckerungen der Fall sein kann.

Wer schon einmal eine Panikattacke erlebt hat, kennt die Angst vor der Angst und fürchtet sich vor einem neuerlichen Verlust der Selbstkontrolle. Wie wird man diese Angst vor der Angst los?
Eine sehr wichtige Therapiemassnahme ist zunächst eine sogfältige Aufklärung der eigenartigen körperlichen Empfindungen, die mit der Panikattacke auftreten. Wird erkannt, dass diese Phänomene nicht lebensbedrohlich sind und wieder abklingen, reduziert dies die Angst vor der Angst. Also: Man soll sich entängstigendes Wissen aneignen. Ein weiterer, sehr wichtiger Schritt ist die sogenannte Exposition: Man geht ganz bewusst in die reale Situation hinein und stellt sich ihr. Dies kann im Fall von Platzangst bedeuten, dass man wieder ins Einkaufszentrum geht, wieder den öffentlichen Verkehr nutzt, wieder mit dem Lift fährt und erlebt, dass nichts Schlimmes passiert ist und dass alle Befürchtungen unnötig waren.

Man kann sich also als panikbetroffene Person Hilfe zur Selbsthilfe aneignen?
Tatsächlich gibt es sehr gute Selbsthilfeanleitungen. Bei grösseren Problemen empfiehlt es sich, die Hilfe eines Therapeuten, einer Therapeutin in Anspruch zu nehmen. Unter Umständen ist es angezeigt, sich von Medikamenten helfen zu lassen.
Bei den Panikerkrankungen hat unter anderem Sport viel Unterstützung zu bieten. Sportliche Betätigung kann die Gewissheit vermitteln: «Ich kann meinem Körper etwas zumuten. Ich bin gesund.» Das Herzklopfen oder die Atemnot etwa beim Joggen werden als ganz normale Reaktionen wahrgenommen – was in der Folge die Angst mindert, wenn doch wieder einmal eine Panikattacke naht. Zwei wichtige Leitsätze können bei Angststörungen zielführend sein: Hintergrundursachen bearbeiten. Selbstkompetenz erwerben.

* Dr. med. Dietmar Hansch leitet in der Privatklinik Hohenegg in Meilen ZH den Schwerpunkt Angsterkrankungen. Er verfügt über langjährige Erfahrungen in Wissenschaft, Lehre und Behandlungspraxis.

Das Buch zum Thema
Dr. med. Dietmar Hansch: Panik & Platzangst selbst bewältigen. Das Praxisbuch. Droemer/Knaur.
Das Buch ist im besten Sinne ansprechend und bietet ebenso kompetent wie leserfreundlich Übersicht und praktische Hilfestellung. Schon das Inhaltsverzeichnis mit seinen klaren Fragestellungen macht deutlich, dass der Autor nah beim Menschen ist und mit gut verständlicher Direktheit auf das jeweilige Problem zugeht. Skizzen und Übungsanleitungen bieten Hilfe zur Selbsthilfe.