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Spitzensport und Gesundheit

Bewegung tut gut. Doch wie gesund ist Hochleistungssport? Diese und weitere Fragen beantwortet der Sportmediziner Dr. med. Quinten Felsch von der Schulthess Klinik in Zürich.

Susanna Steimer Miller

Welches sind die Kehrseiten der Medaille im Spitzensport?
Dr. med. Quinten Felsch*: Um im Leistungssport erfolgreich zu sein, braucht es viel Ehrgeiz, Disziplin und Zeit fürs Training und die Wettkämpfe – oft schon ab der Kindheit und Jugend. Für viele Athletinnen und Athleten ist es nicht leicht, den Sport und die Berufsausbildung unter einen Hut zu bringen. Wer ganz auf die Karte Sport setzt, darf nicht vergessen, dass es nur sehr wenige an die Weltspitze schaffen und auch vom Sport leben können. Die langfristige Sicherung einer beruflichen Perspektive und eines Einkommens ist eine grosse Herausforderung. Zudem besteht im Profisport immer ein Risiko für Verletzungen, die die Laufbahn abrupt beenden können.

Welche gesundheitlichen Folgen sind möglich?
Das hängt von den erlittenen Verletzungen und der kumulativen Belastung während der Karriere ab. Bei den meisten Sportarten sind die unteren Extremitäten am häufigsten von Verletzungen betroffen. Im Kontaktsport und bei hochenergetischen Sportarten ist das Risiko für traumatische Verletzungen des muskuloskelettalen Apparats erhöht. Besonders gefährdet sind Kreuz- und Seitenbänder und Menisken am Knie sowie die Bänder am Sprunggelenk. Aber auch Brüche und traumatische Knorpel- oder Muskelverletzungen kommen gehäuft vor. Bei Ausdauersportarten treten mehr Überlastungen und Verschleisserscheinungen auf wie zum Beispiel das Läuferknie.

Wie sehen die Langzeitfolgen aus?
Ob Verletzungen langfristig Beschwerden verursachen, hängt vom Ausmass und vor allem von der Behandlung ab. Verläuft der Heilungsprozess nicht optimal, können Beschwerden andauern oder sekundäre Verschleisserscheinungen entstehen, welche sich auf die Lebensqualität auswirken und Betroffene sozial und beruflich beeinträchtigen.
Verschleisserscheinungen können bei allen Sportarten auftreten, auch ohne Unfall. Besonders im Ausdauersport kumuliert sich die oft einseitige Gesamtbelastung der Gelenke über die Jahre, was eine Abnützung begünstigen kann. Besonders betroffen sind Hüft-, Knie- und Sprunggelenke, speziell bei Sportlern mit ausgeprägten angeborenen Beinachsen- und Fussabweichungen.
Leistungssport kann auch psychisch sehr belastend sein. Viele Spitzensporttreibende fallen am Karriereende in ein emotionales Loch. Studien belegen jedoch, dass es ihnen im Alter oft psychisch besser geht als Nichtsporttreibenden.

Was beugt Verschleisserscheinungen vor?
Das hängt von der Sportart, dem Körperbau, den erlittenen Verletzungen und der Trainings- und Wettkampfintensität ab. Eine optimale Technik und eine individuelle Begleitung durch erfahrene Trainer helfen, Problemen vorzubeugen. Das Training soll nicht einseitig sein. Ich empfehle zudem ein regelmässiges Krafttraining sowie die Dehnung der wichtigsten Muskelgruppen. Essenziell ist eine gute Rumpf- und Beinachsenstabilisation. Verletzungen müssen immer gut auskuriert werden, bevor man wieder trainiert oder an einem Wettkampf teilnimmt. Ansonsten drohen das Wiederaufflammen der Verletzung oder Folgeverletzungen.

Worauf müssen Spitzensporttreibende achten, damit sie ihre Gesundheit nicht gefährden?
Die Gefährdung hängt vom Alter, der Trainingsintensität und der Betreuung durch den Trainer und medizinische Fachpersonen ab. Bei jungen Sportlerinnen und Sportlern ist vor allem die Begleitung durch die Familie wichtig, die sie stützen und schützen.
Leider werden nicht alle Athletinnen und Athleten in der Schweiz gleich gut betreut. Profifussballer werden meist eng von einem grossen Trainerstab und einem medizinischen Team begleitet, zu dem Physiotherapeuten, Reha- und Konditionstrainer, Masseure, Leistungsdiagnostiker, Ärzte und Ernährungsberater gehören. In vielen anderen Sportarten ist die Betreuung deutlich weniger intensiv.
Als Sportarzt empfehle ich, insbesondere das Übertraining zu vermeiden. Mehr Training führt nicht zwingend zu mehr Leistung. Im Gegenteil, wer zu intensiv trainiert, mutet seinem Körper viel zu, was kontraproduktiv sein kann. Der Körper braucht ausreichend Erholung, um Trainingsimpulse umzusetzen.
Wer Spitzensport treibt, verzichtet besser auf Alkohol und Drogen, befolgt die Dopingrichtlinien, achtet auf eine gesunde Ernährung und genügend Schlaf und unterzieht sich regelmässigen sportmedizinischen Check-ups.

Erholen sich Leistungssportlerinnen und -sportler schneller von Unfällen?
Die Medien berichten oft, dass Spitzensporttreibende ihr Training nach Verletzungen sehr früh wieder aufnehmen. Das erweckt den Eindruck, dass sie sich schneller erholen, was aber in der Regel nicht der Fall ist. Der natürliche Heilungsprozess der verletzen Strukturen verläuft bei ihnen nicht schneller als bei normal sportlichen Menschen. Oft ist die Reha bei ihnen jedoch effektiver, weil sie meistens disziplinierter und fokussierter sind als Untrainierte und eine bessere Ausgangslage bezüglich Kraft, Fitness und Bewegungsverständnis haben. Dies begünstigt den Heilungsverlauf enorm und trägt dazu bei, dass sie früher wieder trainieren können.
Viele Athletinnen und Athleten kurieren ihre Verletzungen aber nicht aus und kehren zu früh zum Sport zurück – sei es aufgrund eigener Ambitionen oder durch externen Druck. Sie nehmen so bewusst oder unbewusst ein hohes Risiko für Kurz- und Langzeitschäden in Kauf, insbesondere bei grossen Events wie zum Beispiel der Olympiade.

In vielen Sportarten, zum Beispiel im Kunstturnen, muss bereits im Kindesalter mit einem intensiven Training begonnen werden, um international eine Chance zu haben. Welche Risiken birgt das?
Da der Körper noch im Wachstum ist, kann sich die grosse physische Belastung negativ auf die Entwicklung auswirken und zu muskuloskelettalen Überbelastungserkrankungen führen. Sportlerinnen und Sportler laufen Gefahr, aufgrund der hohen Trainingsbelastung keine normale Jugend zu erleben, was manche später bereuen. Bei Sportarten wie Kunstturnen, Ballett und Eiskunstlauf sind Essstörungen keine Seltenheit. Diese können psychische und physische Erkrankungen verursachen.

Wie lassen sich Essstörungen vorbeugen?
Weil sie meist schleichend entstehen und bagatellisiert oder aus Scham versteckt werden, ist die Prävention nicht leicht. Wichtig ist, dass gesunde Ernährung und Essstörungen im Training und in der Familie thematisiert werden, das Problem bei Verdacht offen angesprochen und Hilfe geholt wird.
Bei Mädchen können Essstörungen und Überbelastung die normale körperliche Entwicklung behindern und zum Beispiel dazu führen, dass die Menstruation nicht eintritt. Wenn ein Mädchen Leistungssport betreibt und nur unregelmässig oder gar keine Regelblutung hat, kann dies ein Alarmzeichen sein. Hier empfehle ich eine gynäkologische oder sportärztliche Abklärung.

Welchen Gesundheitsvorsprung haben Spitzensporttreibende?
Darüber ist sich die Wissenschaft aktuell uneinig. Die Bewertung hängt von der Sportart und dem Leistungsniveau ab. Es gibt Studien, die belegen, dass Leistungssportlerinnen und -sportler seltener an Diabetes, Herz-Kreislauf-Problemen und Krebs erkranken und länger leben. Sport wirkt sich auch auf die Hirnfunktion positiv aus. Die Vorteile sind nicht nur auf die regelmässige Bewegung zurückzuführen, sondern auch auf den insgesamt gesünderen Lebensstil. Viele Sportlerinnen und Sportler nehmen diesen Vorsprung mit und bleiben bis ins hohe Alter aktiv.

* Dr. med. Quinten Felsch ist Oberarzt Sportmedizin an der Schulthess Klinik Zürich.