Weihrauch: Tränen der Götter
Weihrauch war einst so kostbar wie Gold. Seit fünfzig Jahren wird das Balsamharz als nebenwirkungsarmes Mittel zur Behandlung verschiedenster Krankheiten intensiv erforscht.
Die rund zwanzig Arten von Weihrauchbäumen wachsen in kargen Landschaften und sehen unscheinbar aus. Sie kommen in Afrika (Somalia, Äthiopien, Eritrea, Sudan), Arabien (Oman, Jemen) und Indien vor und gehören alle zur Pflanzengattung Boswellia. In der Rinde der Gewächse versteckt ist die begehrte klebrig-milchige Flüssigkeit. Werden Stämme und Äste mit einem Messer eingeschnitten, tritt sie aus und erstarrt in der Hitze in kleinen Tropfen. Beim wiederholten Anschneiden fliesst helleres Gummiharz von immer höherer Qualität aus und erstarrt in grösseren Tropfen von bis zu drei Zentimeter Grösse. Die kostbarsten wurden «Tränen der Götter» genannt und mit Gold aufgewogen. Auch wenn sich die Harze der verschiedenen Boswellia-Arten in ihrer Zusammensetzung unterscheiden: Beim Verbrennen produzieren alle einen charakteristisch zitronenartig dumpf beziehungsweise schweren süsslich duftenden Rauch. Rund neunzig Substanzen in ihm wurden bisher beschrieben.
Bis heute begehrt
Das Harz der Weihrauchbäume wurde früher rege gehandelt und gelangte über die Weihrauchstrasse von Südarabien und der Insel Sokotra – eine zu Jemen gehörende Insel vor dem Horn von Afrika – nach Mesopotamien und Ägypten und in zahlreiche Gegenden der ganzen Welt.
Wird zweimal jährlich von einem Baum geerntet, beträgt die Ausbeute rund ein Kilogramm Harz. Da es auch heute noch ein begehrtes Gut ist, werden die Bäume des Echten Weihrauchs (Boswellia sacra) in den ursprünglichen Anbaugebieten in Südarabien übermässig ausgebeutet, was deren Fortbestand gefährdet.
Salai Guggal und Olibanum
In Indien wird das Weihrauchharz von Boswellia serrata Salai Guggal genannt. Es gehört seit vielen Jahrhunderten zum Arzneimittelschatz des Ayurveda, der traditionellen indischen Medizin, und wird in ihren drei Hauptwerken beschrieben. Salai Guggal wird für eine Vielzahl von Krankheiten eingesetzt, wobei die antirheumatische Wirkung besonders hervorgehoben wird. In der traditionellen chinesischen Medizin dient Weihrauch zur Behandlung von Schwellungen und zur Linderung von Schmerzen bei Entzündungskrankheiten.
Auch im Westen wurde das Harz für die verschiedensten medizinischen Zwecke eingesetzt. Weihrauch wird bereits im über 3500 Jahre alten Papyrus Ebers erwähnt, dem ältesten und grössten Heilkunstbuch Altägyptens. Die Ägypter nutzten das Harz für Salben zum Einbalsamieren, für die Behandlung einer Vielzahl von Krankheiten aber auch als Liebeszauber.
Einer Legende nach erhielt Adam
bei der Vertreibung aus dem Paradies die Erlaubnis,
eine Weihrauchpflanze mitzunehmen.
Griechische Ärzte wie Hippokrates, Dioskurides und Galen behandelten mit dem indischen Weihrauch, Olibanum, Krankheiten wie Rheuma, Geschwüre, Schuppenflechte und Entzündungen. In der traditionellen orientalischen Heilkunde diente Olibanum auch zur Stimulierung des Wohlbefindens.
Im Mittelalter findet er sich in den Schriften von Hildegard von Bingen (1089 –1179) und Paracelsus (1493 –1541). Als es im 20. Jahrhundert gelang, Heilmittel wie Antibiotika und Kortison herzustellen, geriet die Heilkraft des Weihrauchs in Vergessenheit. Weihrauch, 1871 ins Deutsche Arzneibuch aufgenommen, verschwand 1941 wieder aus dem Standardwerk.
Revival im Westen
Weil bei vielen der modernen Arzneimittel unerwünschte Wirkungen auftreten, besann man sich wieder auf den Weihrauch, da bei seiner Anwendung kaum Nebenwirkungen vorkommen. Seit fünfzig Jahren wird das alte Heilmittel wieder erforscht. Olibanum indicum wurde 2008 in die Europäische Pharmakopöe (Heilmittelbuch) aufgenommen. Von den über zweihundert identifizierten Inhaltsstoffen sind die Boswelliasäuren therapeutisch am wichtigsten.
Experimentell konnten (in Zellkulturen und bei Nagetieren) antientzündliche, antioxidative und schmerzlindernde Wirkungen nachgewiesen werden, ebenso eine Hemmung des Krebswachstums sowie hirnleistungssteigernde und immunomodulatorische Wirkung. Studien mit verschiedenen Weihrauchpräparaten mit Patientinnen und Patienten zeigten viele Hinweise für die Wirksamkeit bei rheumatoider Arthritis und Arthrose, Morbus Crohn, Reizdarm-Syndrom sowie einer Vielzahl weiterer Erkrankungen, so Prof. Dr. Sigrun Chrubasik-Hausmann.
Weihrauch findet sich auch in homöopathischen Präparaten, kosmetischen Produkten und Nahrungsergänzungsmitteln.
Die WHO empfiehlt bis 3 Gramm Harz oder bis 1050 Milligramm Extrakt in drei Einzeldosen als Tagesdosis. Die Einnahme sollte mit oder kurz nach einer Mahlzeit erfolgen, da auf diese Weise mehr von den Wirkstoffen ins Blut übergehen.
In der Schweiz ist das ayurvedische Weihrauch-Arzneimittel H 15 nur im Kanton Appenzell Ausserrhoden zugelassen. Für Räucherwerk dagegen ist eine Vielzahl von Weihrauchharzen erhältlich. Ebenso sind unter anderem Nahrungsergänzungsmittel mit Weihrauch auf dem Markt, auch als Hausspezialitäten in Apotheken.
Symbolisches Räucherwerk
Seit der Antike hat Weihrauch als Räucherwerk eine grosse kultische Bedeutung. Anfänglich glaubte man, Rauch sei Materie, aus der Götter und Geister bestünden. Beim Opferkult der Römer symbolisierte er die Opfergabe. In verschiedenen Kulturen dient Rauch noch bis heute als Medium der Verehrung von höheren Mächten.
Seit fünfhundert Jahren wird Weihrauch in der christlichen Liturgie eingesetzt, auch als Zeichen für die Gegenwart Gottes. Weihrauch wird aber auch bei weltlichen Festlichkeiten und Bestattungen verbrannt.
Auch das Harz der Myrrhe – neben Weihrauch und Gold die dritte Gabe der Heiligen Drei Könige – dient nicht nur als Räucherwerk. Es wird auch als Medizin eingesetzt und sein Potenzial als Darmarznei wissenschaftlich erforscht.