Zeitumstellung: Unbeliebter Zeitsprung
Bald werden die Uhren wieder um eine Stunde vorgestellt. Morgenmenschen haben damit weniger Mühe als «Eulen».
Bestimmt kennen Sie Pflanzen, die am Abend ihre Blüten schliessen und sie am Morgen wieder öffnen. Im gleichen 24-Stunden-Rhythmus hebt und senkt die Mimose (Mimosa pudica) Blätter und Zweige. Doch das Licht ist nicht wie eigentlich zu erwarten der Taktgeber. 1729 stellte Jean-Jacques Dorus de Mairan die Pflanzen in lichtdichte Behälter und beobachtete die gleichen Effekte: Die Mimose musste über einen inneren Taktgeber verfügen. 1832 wiederholte der Schweizer Botaniker Augustin-Pyrame de Candolle den -Versuch über mehrere Tage und fand: Die innere Uhr der in Dunkelheit gehaltenen Pflanzen ging mit 22,5 Stunden pro Tag schneller als bei Pflanzen, die dem täglichen Tag- und Nacht-Wechsel ausgesetzt waren.
Die chinesische Organuhr
In China war bereits in der Song-Dynastie (960–1279 n. Chr.) bekannt, dass Körperfunktionen rhythmisch ablaufen können. Diese Erkenntnisse der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) sind in der Organuhr dargestellt: Sie zeigt die verschiedenen Funktionskreise (Organsysteme), die während jeweils zwei Stunden im 24-Stunden-Zyklus eine Leistungsphase haben. Die Organuhr wird oft für Diagnosen beigezogen. Denn treten Beschwerden wie Schlafstörungen gehäuft oder regelmässig zur gleichen Tageszeit auf, kann dies ein Hinweis sein, dass das Qi (Lebensenergie) im betreffenden Funktionskreis gestört ist.
Leben im Andechser Bunker
Die Wissenschaft der Chronobiologie (altgriechisch Chrónos = Zeit) des Menschen ist noch jung, da sich der Westen erst viel später für die Rhythmen und Taktgeber des Menschen interessierte. Einen bahnbrechenden Versuch leitete Prof. Jürgen Aschoff (1913–1998), einer der Pioniere der Chronobiologie. Zwischen 1964 und 1989 lud er 447 Versuchspersonen in einen umgebauten Bunker in der Gemeinde Andechs in Oberbayern ein. Ziel war herauszufinden, ob sich in Abwesenheit des natürlichen Wechsels von Tag und Nacht der 24-Stunden-Wach-Schlaf-Rhythmus verschiebt oder nicht. Es zeigte sich: Bei den meisten Versuchspersonen verlängerte er sich auf rund 25 Stunden, eine Minderheit zeigte einen kürzeren Rhythmus als 24 Stunden. Kurz: Es musste beim Menschen – analog wie bei den Mimosen – einen angeborenen biologischen Oszillator geben, eine innere Uhr. Diese wird, sofern wir nicht permanent in einem Bunker oder tief in einer Höhle leben, von sogenannten «Zeitgebern» synchronisiert, d. h. vor allem von Licht, in geringerem Mass auch von der Temperatur.
Lerchen und Eulen
Der zirkadiane (lat. circadian = etwa einen Tag) Rhythmus ist der am besten erforschte. Die biologische Uhr hilft dem Körper, sich auf die Aktivitäten am Tag und die Ruhestunden in der Nacht vorzubereiten, indem sie kritische Funktionen regelt wie Verhalten, Schlaf, Körpertemperatur, Stoffwechsel und die Ausschüttung von Hormonen – u. a. von Kortisol (Stresshormon), Katecholaminen (Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin) und Melatonin (Schlafhormon). Für die Entdeckungen der molekularen Mechanismen, die den zirkadianen Rhythmus innerhalb der Zelle steuern, erhielten Jeffrey C. Hall, Michael Rosbash und Michael W. Young 2017 den Nobelpreis für Medizin.
Sommerzeit ade?
Der Widerstand gegen die Zeitumstellung wächst seit Jahren.
2021 hielten bereits 78 Prozent der von der deutschen
Krankenkasse DAK Befragten die Zeitumstellung
für sinnlos und befürworteten deren Abschaffung.
Häufigste Befindlichkeits-störungen waren
Müdigkeit und Abgeschlagenheit. Doch was tun,
bis die Sommerzeit wieder abgeschafft wird?
Beim Menschen sind drei Chronotypen bekannt. Neben dem Indifferenztyp mit einem inneren Rhythmus um die 24 Stunden gibt es Frühaufsteher («Lerchen», Morgenmenschen) mit einem kürzeren Rhythmus und Langschläfer («Eulen», Nachtmenschen) mit einem verlängerten zirkadianen Rhythmus. Eulen sind abends besonders leistungsfähig, Lerchen morgens.
Störungen können auftreten, wenn der äussere Zeitgeber «ausgebremst» wird durch Lichtmangel, Schichtarbeit, den modernen Lebensstil, psychische und physische Aktivität, soziale Kontakte, Mahlzeiten … und Flüge durch verschiedene Zeitzonen.
Jetlags
Bei einem Langstreckenflug müssen wir uns am Zielort auf die neue Zeit einstellen. «Dies kann je nach individueller Verfassung, Anzahl der überquerten Zeitzonen und der Flugrichtung gut zwölf Tage dauern, also einen Tag pro Zeitzone», schreibt das Zentrum für Schlafmedizin und Schlafforschung in Köln. Fliegen wir von West nach Ost, verkürzt sich der Tag. Das hat zur Folge, dass nicht nur die Angewöhnungszeit länger wird. Ebenso sind die unerwünschten Effekte wie gestörtes Allgemeinbefinden, Unwohlsein, verminderte Schlafqualität und eingeschränkte Leistungsfähigkeit stärker, als wenn wir von Ost nach West fliegen, also «mit der Sonne».
Wie ein Flug gegen Osten
Stellen wir die Uhr Ende März mit dem Wechsel von der Winter- zur Sommerzeit um eine Stunde vor, verkürzt sich der Tag wie bei einem Flug nach Osten über 15 der insgesamt 360 Meridiane, so wie zum Beispiel von Zürich nach Izmir in der Türkei.
Anstoss zur Einführung der Sommerzeit gab 1973 die Ölkrise. 1977 wurde die Zeitumstellung in vielen europäischen Ländern eingeführt, die Schweiz folgte 1981. Mit der Umstellung sollte das Tageslicht besser genutzt und so Energie gespart werden. Die Einsparungen waren jedoch nur geringfügig, wie der Bericht «Bilanz zur Sommerzeit» des Deutschen Bundestags 2016 festhält: «Bei der Mehrzahl der Studien wurde eine Minderung von weniger als 0,2 Prozent des Strom- oder 0,03 Prozent des Endenergieverbrauchs eines Landes festgestellt.» Und weiter: «Zu konstatieren sind jedoch mittlerweile vermehrte wissenschaftliche Hinweise darauf, dass die Anpassung des Systems der biologischen Rhythmen des Menschen insbesondere an die Zeitumstellung im Frühjahr (die zum ‹Verlust› einer Tagesstunde führt) sich nicht so einfach bzw. so zügig vollzieht, wie noch vor wenigen Jahren angenommen worden war. Namentlich den sogenannten ‹späten Chronotypen› (Eulen) scheint die Zeitumstellung im Frühjahr grössere Anpassungsschwierigkeiten zu bereiten.»