Wenn’s unerträglich juckt
Die Haut ist gerötet, juckt, schuppt und nässt: So äussert sich ein akuter Schub eines atopischen Ekzems, auch Neurodermitis genannt. Das Leben mit der chronischen Hauterkrankung kann eine Herausforderung sein – für die betroffene Person und für ihre Angehörigen.
Text: Petra Kollbrunner, aha! Allergiezentrum Schweiz
Jedes fünfte Kind, jede zwanzigste erwachsene Person: So viele leiden in der Schweiz an einem atopischen Ekzem. «Dabei handelt es sich um eine der häufigsten Hauterkrankungen in der Schweiz», weiss Bettina Ravazzolo, Expertin bei aha! Allergiezentrum Schweiz. Ein Hoffnungsschimmer vorneweg: Bei vielen Kindern werden die Symptome im Laufe der Zeit schwächer oder verschwinden bis zum Erwachsenenalter sogar ganz. Aber warum kommt es überhaupt zu den Ekzemen? Und was hilft am besten?
Geschädigte Hautbarriere
Früher ging man davon aus, dass die Ursache der Erkrankung im Zusammenhang mit einer Nervenkrankheit stehe. Darum der nach wie vor weit verbreitete Name: Neurodermitis (Neuro = Nerven). Bettina Ravazzolo: «Medizinisch betrachtet spricht man vom atopischen Ekzem. Wobei Atopie die genetische Veranlagung bezeichnet, übermässig auf Umweltallergene zu reagieren.» Was heisst das? Bei Betroffenen ist die natürliche Schutz- und Abwehrfunktion der Haut beeinträchtigt – eben aufgrund dieser genetischen Veranlagung sowie Umweltfaktoren und in der Haut ablaufenden Entzündungen. Ganz konkret: Der Aufbau der oberen Hautschicht ist gestört durch einen Mangel, ein Ungleichgewicht oder eine Fehlfunktion von Stoffen. Dadurch verdunstet mehr Feuchtigkeit und die Haut trocknet aus. Zudem wird die Haut durchlässiger für Allergene und andere Umweltstoffe. Diese können Entzündungsreaktionen auslösen.
Zusätzliche Einflussfaktoren
Neben den Veränderungen der Hautstruktur können Faktoren wie Klima, Wetter, psychischer Stress (Belastungen, Freude), physischer Stress (Erkältungen), chemische Reize (Dusch- oder aschmittel), physikalische Reize (Kratzen, raue Textilien) sowie Allergene einen Einfluss auf den Hautzustand haben. «Warum sich die Haut entzündet, ist von Person zu Person unterschiedlich und kann sich im Laufe des Lebens verändern», so Bettina Ravazzolo. Häufig spielen mehrere Faktoren eine Rolle, deshalb ist es oftmals schwierig, den oder die Auslöser für das atopische Ekzem zu bestimmen.
Viele verschiedene Gesichter
Ein atopisches Ekzem kann sich vielseitig äussern – etwa als trockene, sensible Haut, Rötungen, Juckreiz, Schuppen, nässende Stellen oder sogar Krusten. «Beim atopischen Ekzem verändert sich der Hautzustand ständig», erklärt Bettina Ravazzolo. Je nach Alter der Betroffenen treten die Ekzeme an den typischen Hautstellen auf. «Im Säuglingsalter ist oft der ganze Körper betroffen, mit Ausnahme des Windelbereichs», beschreibt die Expertin. Bei Kleinkindern treten die Schübe vorwiegend in den Kniekehlen, Ellenbeugen, im Gesicht, Nacken und am Hals auf. «Bei älteren Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen können zusätzlich Hand- und Fussekzeme beobachtet werden.»
Cremen, cremen, cremen
Der beste Rat bei einem atopischen Ekzem: «Tägliches Reinigen und Eincremen als sogenannte Basispflege», so Ravazzolo. Das Wasser beim Duschen sollte maximal 35 °C warm sein. Geeignete Pflegeprodukte sind möglichst frei von Farb- und Duftstoffen, rückfettend und haben einen hautneutralen pH-Wert von 5,5. Ideal sind etwa Produkte mit dem Allergie-Gütesiegel. Im Winter werden eher fetthaltige Produkte als angenehm empfunden, im Sommer solche mit hohem Feuchtigkeitsanteil. Bettina Ravazzolo rät zu Geduld: «Ein generelles Pflegeprodukt, das allen hilft, gibt es leider nicht. Aber man entwickelt mit der Zeit ein Gefühl für die richtige Pflege.»
Für Kinder könne eine Neurodermitis-Schulung hilfreich sein. «Darin erfahren sie mehr über die Erkrankung und lernen, wie sie damit selbstbestimmt umgehen können», so Bettina Ravazzolo, die selbst solche Schulungen durchführt.
Weitere Therapiemöglichkeiten
Wenn sich der Hautzustand trotz guter Basispflege verschlechtert oder auch nicht verbessert, ist oft zusätzlich eine antientzündliche Therapie nötig. Dabei stehen zum Beispiel Kortison und Calcineurin-Inhibitoren zur Verfügung, die beide als Creme oder Salbe angewendet werden. Was wenn das alles nichts hilft? «Inzwischen gibt es neue Medikamente mit Immunmodulatoren, also Antikörpern», ergänzt Ravazzolo. Diese sind Substanzen, die die Reaktion des Immunsystems verändern. Dazu gehören Biologika sowie Januskinase-Inhibitoren. Was neben Medikamenten zusätzlich helfen kann, sind Licht- und Klimatherapien. Entspannungsübungen oder autogenes Training wirken sich ebenfalls positiv auf das Befinden aus.
Bitte nicht kratzen!
Eine grosse Belastung für viele Betroffene ist der ständige Juckreiz. Grundsätzlich beugt eine gute Basispflege dem Jucken vor. Reizt es einen trotzdem, sollte man sich nicht kratzen. Die Expertin: «Dies bringt zwar kurzfristig Erleichterung, schädigt jedoch die Haut und macht sie anfälliger für Infektionen, was das Jucken verstärkt.» Ziel der Therapie ist es, den Teufelskreis zwischen Juckreiz, Kratzen und Verschlechterung des Hautbilds zu durchbrechen. An erster Stelle steht dabei stets die Behandlung des Ekzems – wenn nötig medikamentös. Daneben gibt es aber auch noch ein paar weitere Tipps, die helfen können, dem Juckreiz vorzubeugen oder ihn akut loszuwerden (s. Kasten).
aha! Allergiezentrum Schweiz hilft
Persönliche Fragen beantworten die Expertinnen der aha!infoline, Dienstag bis Freitag, 8.30 – 12.30 Uhr, Tel.: 031 359 90 50.
Weitere Informationen auf www.aha.ch
Tipps gegen Juckreiz
Vorbeugend:
- Schweiss fördert Juckreiz, darum leichte Kleidung aus weichen, atmungsaktivenMaterialien tragen.
- Kleideretiketten entfernen, damit sie nicht reizen.
- Statt Weichspüler eine kleine Menge Essig verwenden.
- Ideale Raumtemperatur: nicht über 20 °C tagsüber,fürs Schlafen unter 16 °C.
Akut:
- Feuchtigkeitsspendendes Produkt eincremen – direkt aus dem Kühlschrank wirkt es zusätzlich kühlend.
- Juckende Stellen kühlen, kneten, klopfen, streichen.
- Gesunde Hautstellen reiben, drücken, kneifen.
- Sich ablenken: spielen, malen, lesen, singen, einen Film schauen, nach draussen gehen.
- Innere Anspannung abbauen: in ein Kissen schlagen, stampfen, brüllen, boxen.
- Kurz kühl duschen und danach eincremen.
- Medikamente anwenden.