Bitterstoffe
Von allen Geschmacksrichtungen ist «bitter» am wenigsten beliebt. Vielleicht gerade darum, weil ihre Qualitäten nicht bekannt sind.
Babys lieben Süsses, ebenso die Geschmacksrichtung Umami (siehe Kasten); was sie nicht mögen, ist Saures und Bitteres. Geschmacksqualitäten nehmen wir mit den Geschmacksknospen wahr, die aus bis zu 100 Sinneszellen bestehen. Die Geschmacksknospen wiederum liegen in verschiedenen Arten von Papillen der Zunge. Die einzelnen Geschmacksrichtungen schmecken wir auf der Zunge in definierten Bereichen, die sich überlappen können. Menschen mit einer hohen Anzahl an Sinneszellen für den Geschmack zählen zu den «Superschmeckern».
Eine gute Medizin schmeckt dem Gaumen bitter.
Chinesisches Sprichwort
Geschmack: komplexer Sinneseindruck
Unsere Geschmacksempfindungen hängen nicht nur vom Geschmackssinn ab; stark beteiligt sind auch der Geruchs-, Temperatur- und Tastsinn, die Schmerzempfindung sowie die optische Wahrnehmung. Geprägt werden wir schon als Ungeborene über das Fruchtwasser mit den kulinarischen Vorlieben der Mutter. Ebenso übernehmen wir von der Gesellschaft, in der wir aufwachsen, Ansichten darüber, welche Nahrungsmittel gut oder schlecht schmecken – unabhängig davon, ob diese der Gesundheit zuträglich sind oder nicht.
Vorsicht bitter!
Vor mindestens 80 000 Jahren, lange bevor die Menschen mit Ackerbau und Viehzucht begannen, hatte sich die Fähigkeit entwickelt, Bitteres zu schmecken. «Der bittere Geschmack spielt eine wichtige Schutzfunktion, da viele pflanzliche Giftstoffe bitter schmecken. Die Fähigkeit, solche gefährlichen Inhaltsstoffe über den Geschmack wahrzunehmen, kann zumindest in bestimmten Umgebungen das Überleben beeinflussen. Menschen vermögen Bitterstoffe in sehr kleinen Konzentrationen wahrzunehmen und zeigen dann Reaktionen der Abneigung», so die Autoren einer diesbezüglichen Studie.
Wie wir Bitteres wahrnehmen, hängt von unseren Bittergenen ab. 25 Gene sind in jeweils unterschiedlichem Anteil am Bau einer Bittergeschmackszelle beteiligt, von denen jede einen individuellen Mix an Bitterstoffen erkennen kann. Dies ermöglicht uns, Zehntausende von Bitterstoffen zu unterscheiden. Mit zunehmendem Lebensalter rückt der genetische Anteil in den Hintergrund und wird von kulturellen Faktoren überdeckt.
Bittere Medizin
«Was bitter ist dem Mund, ist dem Magen (oder Herzen) gesund», sagt ein deutsches Sprichwort. Laut Prof. Dr. Reinhard Saller werden stark bitter schmeckende Arzneien bei verschiedensten Befindlichkeitsstörungen und Erkrankungen eingesetzt. Dazu zählen mangelnde Esslust, träge Verdauung, Übelkeit, Blähsucht, Koliken, unregelmässiger Stuhlgang, hypochondrische Stimmung, nervöse Störungen und allgemeine Schwäche. Rezeptoren für Bitterstoffe sind nicht nur auf der Zunge, sondern auch in den oberen Atmungsorganen und im Magen-Darm-Trakt vorhanden. Dennoch: Wichtig bei der Einnahme von Arzneien ist es, dass die Bitterkeit nicht durch Zugabe von Honig und dergleichen gemildert wird. Dass wir uns Bitteres nicht (mehr) gewohnt sind, hängt ebenfalls damit zusammen, dass Bitterstoffe in den vergangenen Jahrzehnten vor allem aus Obst- und Gemüsesorten bewusst weggezüchtet wurden.
Von Angelikawurzel bis Zitronenschalen
Zu den häufig eingesetzten bitterstoffhaltigen Heilpflanzen gehören (in alphabetischer Reihenfolge und nicht abschliessend):
- Amara pura (nur bzw. vorwiegend Bitterstoffe): Bitterholz, Bitterklee, Enzianwurzel, Fieberklee, Tausendgüldenkraut
- Amara aromatica (Bitterstoffe und ätherisches Öl): Angelikawurzel, Bitterorangenschalen, Condurangorinde, Hopfenzapfen, Kalmuswurzelstock, Kardobenediktenkraut, Kaskarillrinde, Pomeranzenschalen, Schafgarbenkraut, Wermutkraut, Zitronenschalen
- Amara adstringentia (Bitterstoffe und Gerbstoffe): Chinarinde, Condurangorinde, Schafgarbenkraut
- Amara mucilagenosa (Bitterstoffe und bedeutsame Mengen Schleimstoffe): Hohlzahnkraut, Isländisches Moos, Kolombowurzel
- Amara acria (Bitterstoffe und bedeutsame Mengen Scharfstoffe): Galgantwurzelstock, Ingwerrhizom
- Amara salina (salzreiche Bittermittel): Löwenzahnwurzel un -kraut, Wegwartenwurzel
Bitterwerte
Wie bitter ein Mittel ist, wird im Vergleich zu einer Lösung analysiert, die «eben noch» bitter schmeckt, wobei verschiedene Messmethoden verwendet werden. Das aus der Enzianwurzel stammende Amarogentin ist mit einem Bitterwert von ca. 60 000 000 der bitterste Naturstoff.
Bitterholz / Quassiaholz 40 000–50 000
Enzianwurzel 10 000–30 000
Wermutkraut 10 000–25 000
Condurangowurzel 15 000
Teufelskrallenwurzel 5000–15 000
Bitterkleeblätter 4000–10 000
Andornblätter 3000
Tausendgüldenkraut 2000–10 000
Benediktenkraut 800–1500
Bitterorangenschalen 600–2500
Löwenzahnwurzel ≥100
Quelle: Pschyrembel
Sechs Geschmacksrichtungen
Die vier Grundqualitäten unseres Geschmacks sind allgemein bekannt: süss, sauer, salzig und bitter.
Eine fünfte Geschmackswahrnehmung wurde 1909 in Japan entdeckt: umami, das mit fleischig, würzig und wohlschmeckend umschrieben werden kann oder vereinfacht als «Geschmack von Glutamat».
Glutamate – Ester und Salze der Glutaminsäure (E 620) – sind in höherer Konzentration in getrockneten Tomaten, Fleisch, getrockneten Shiitake, Sojasauce, Parmesan, aber auch in Maggi-Würze enthalten.
2005 wurde noch eine sechste Geschmacksrichtung entdeckt: fettig bzw. oleogustus, die hingegen nur von Menschen wahrgenommen werden kann, die viele Geschmacksknospen besitzen.
Während die traditionelle chinesische Medizin fünf Geschmacksrichtungen kennt (süss, sauer, salzig, bitter und scharf), unterscheiden die tibetische Medizin wie auch die traditionelle indische Heilkunst Ayurveda noch eine sechste: herb.