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Präzisionssport Klettern

Nasim Eshqi ist die bekannteste Profikletterin des Iran. Seit Langem ist sie eine prägende Stimme für Freiheit und positive Selbsterfahrungen beim Klettern, aber auch für die Rechte der Frau im Iran. Seit dem Herbst 2022 lebt sie im Exil in Italien.

Nasim Eshqi, Sie sind eine weltbekannte Kletterin, haben Ihre Karriere jedoch als Kickboxerin begonnen. Wie sind Sie zu diesem Sport gekommen?

Ich bin eine Person mit viel Energie und Bewegungsdrang. An meiner Schule nahm ich an einer Ferienfreizeit für Kampfsportarten teil. Mich hat bei Kickboxen der Rhythmus und die Melodie der kunstvollen Bewegungen fasziniert. Ausserdem wünschte ich mir, wie ein Junge leben zu dürfen und die gleichen Freiheiten zu geniessen. Durch die Religion und Tradition sind in meinem Land die Freiheiten von Frauen und Mädchen sehr eingeschränkt. Das Kickboxen war eine Möglichkeit, hier auszubrechen.

Kickboxen ist in Ihrem Heimatland Iran kein typischer Frauensport. Welche Schwierigkeiten gab es für Sie dabei?

Meine Familie hat nicht akzeptiert, dass ein Mädchen diesen Sport liebt. So musste ich den Sport im Geheimen betreiben. Ich habe hierfür Schule geschwänzt und musste meine Boxhandschuhe bei Freunden verstecken. Ich hatte immer Angst entdeckt und bestraft zu werden. Aber wenn ich etwas liebend gerne möchte, dann muss ich dafür auch Risiken auf mich nehmen.

Sie waren bei Weitem die beste Kickboxerin in Ihrer Gewichtsklasse im Iran. Warum haben Sie zum Klettern gewechselt?

Ich fand nur noch auf internationalen Wettkämpfen adäquate Gegnerinnen. Hier wurde von der Regierung verlangt, dass ich ein Kopftuch trage und als Botschafterin für ein Regime auftrete, das mir als Frau alle Freiheiten nimmt. Ich bin nicht religiös und möchte deshalb kein Kopftuch tragen. Ich wollte meinen Sport frei leben dürfen und nicht als Marionette für eine Religion, Partei oder Diktatur werben. So habe ich mit meiner Lieblingssportart nach 15 Jahren hartem Training aufgehört. An der Universität traf ich Kletterinnen, die mir zeigten, wie schön und frei Sport in der Natur sein kann. Das Klettern gab mir sehr viel Kraft und es ermöglichte mir, den strengen Regeln des Regimes zu entkommen.

Habt Freude am Klettern – nicht nur physisch,
sondern auch mental,
denn Klettern ist ein mentaler Sport.

Nasim Ehqi

War das ein hoher Preis, den Sie hierfür zahlen mussten?

Es ging mir darum, authentisch zu sein und meine Werte leben zu dürfen. Das Kickboxen weiterzuführen wäre ein viel höherer Preis gewesen. Ja, ich habe mich gefragt, wie viel ich geben müsse. Ich war aber gleichzeitig sicher, dass es möglich wäre, die vom Regime gesteckten Grenzen zu durchbrechen. Im Iran ist der Sport in den Hallen streng nach Geschlechtern getrennt. Sobald sich die Männer und Frauen treffen, werden sie von der Sittenpolizei streng überwacht. Draussen in der Natur konnten wir ohne Druck unserem Sport zusammen nachgehen. Die Sittenpolizei war weit genug weg, wobei es nie ganz ausgeschlossen war, dass jemand der Kletterkollegen für die Sittenpolizei arbeitet.

Gibt es spezifische Unterschiede zwischen Kletterern und Kletterinnen?

Nicht wirklich, die Schwerkraft ist für Männer und Frauen gleich. Zwar sind Körpergrösse und viel Muskelmasse von Vorteil beim Klettern, aber dies kann durch Geschicklichkeit beim Finden der Griffe ausgeglichen werden. Und wenn ein nicht so grosser und leichterer Mann klettert, sind für ihn die Herausforderungen die gleichen wie für die Frauen.

Was hat das Klettern Ihnen persönlich am meisten gegeben?

Am Fels darf ich zeigen, was ich kann. Es herrscht eine völlig andere Kultur: Freiheit, gegenseitiger Respekt und Gleichberechtigung. Hier konnte ich «wie ein Junge» sein. Ausserdem ist das Klettern selbst eine tolle Herausforderung: intelligent die richtigen Griffe zu finden, die Kraft wohldosiert einzusetzen, die Gefahren richtig einzuschätzen und damit sicher zu klettern, aber auch seine Angst zu beherrschen.

Sie sind durch das Klettern noch bekannter geworden als durch das Kickboxen. Was hat das mit Ihnen gemacht?

Es war nie mein Ziel, berühmt zu werden. Ich nutze mittlerweile diese Plattform, um zu sagen, was ich denke, eine klare Position zu beziehen und zu zeigen, auf welcher Seite ich stehe. Ich begrenze meine Aussagen hierbei bewusst auf die Themen, die ich verstehe, zum Beispiel Klettern, die Gesellschaft und Menschenrechte. Nur so werde ich nachhaltig gehört.

Was würden Sie jungen Kletterern und Kletterinnen als Wichtigstes mit auf den Weg geben?

Habt Freude am Klettern – nicht nur physisch, sondern auch mental, denn Klettern ist ein mentaler Sport. Denkt immer daran, dass Freiheit nicht selbstverständlich ist und dass wir uns gemeinsam für Menschenrechte einsetzen müssen. Diese Werte sind wichtiger als das Klettern. Wem es rein nur ums Physische geht, dem sei gesagt: Gämsen werden immer die besseren Kletterer bleiben. Nasim Eshqi wurde anlässlich der Veranstaltungsreihe «Frau am Berg» des Alpinen Museums der Schweiz interviewt. Das Museum zeigte den Film «Climbing Iran», in dem ihr Weg zwischen sportlichem Erfolg und kulturellen sowie gesellschaftlichen Hindernissen aufgezeigt wird.

© Pixel-Shot  / stock.adobe.com
Bild: Pixel-Shot  / stock.adobe.com

Klettern

Klettern ist die Bewegung in einer steilen Wand. War es ursprünglich nur ein notwendiges Fortbewegungsmittel, so ist es heute eine beliebte Sportart. In der Schweiz üben über vier Prozent der Männer und drei Prozent der Frauen diesen Sport aus, wobei die unter 30-Jährigen – darunter auch Kinder – besonders stark vertreten sind. Klettern wird heute sowohl in speziellen Kletterhallen als auch am Fels draussen in der Natur ausgeübt. In der Kletterhalle steht die Bewältigung der Kletterrouten, das Üben spezieller Techniken und das sportliche Training in Vordergrund. Am Fels kommt das unvergessliche Naturerlebnis hinzu. Gesundheitlich gesehen steht das körperliche Training, insbesondere der Muskelaufbau und die Ausdauer, an erster Stelle. Klettern kann auf sehr verschiedenem Niveau und sehr gut altersangepasst betrieben werden. Es reicht von einem anspruchsvollen Bergwandern mit einigen Kletterstellen bis hin zum Erklimmen steiler Bergwände wie die Eiger-Nordwand.

Beim Klettern ist die Sicherheit immer von sehr grosser Bedeutung. Die Kletternden sichern sich gegen gefährliche Stürze mit Seilen, die über Haken sicher am Felsen befestigt sind. Diese Techniken müssen erlernt werden – am besten in einem Verein (beispielsweise dem Schweizer Alpen-Club), durch spezifische Kurse oder von erfahrenen Mitkletternden.

Bouldern stellt eine Untergruppe des Klettersports dar. Es wird an Felsblöcken (boulder bedeutet Felsblock auf Englisch), am Fuss von Felswänden oder an speziellen Kletterwänden ausgeübt. Zum Bouldern braucht es keine Seilsicherung, da nur so hoch geklettert wird, dass ein Abspringen ohne Verletzungen möglich sein soll.