Was wäre der Mensch ohne das Spiel?!
Alle Kinder der Welt spielen. Das Spiel ist unverzichtbar für das Lernen, das Sich-Entwickeln. Auch Erwachsene sollten die vielen positiven Wirkungen von Spielen häufiger nutzen.
«Die liebste und intensivste Beschäftigung des Kindes ist das Spiel», schrieb Sigmund Freud 1907. Ob der Vater der Psychoanalyse ahnte, was die moderne Gehirnforschung aufdecken konnte? Denn heute wissen wir: Für kleine Kinder ist Spielen und Lernen ein und dasselbe. Mehr noch: «Das Spiel bereitet den Nährboden für nachfolgendes Lernen», so der Neurowissenschaftler Prof. Manfred Spitzer. Bei Primaten, zu denen auch wir zählen, dauert die Zeit des Lernens in der Kindheit besonders lange, beim Menschen am längsten.
Das Recht aufs Spielen
Oft brauchen Kinder für ihr Spiel keine Utensilien, allenfalls Alltägliches wie Steine, Stöcke, ein Seil, einen Ball. Solche Spiele können an jedem Ort der Welt gespielt werden – und sie kosten nichts. «Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt», schrieb Friedrich Schiller. Später prägte Johan Huizinga den Begriff Homo ludens – der spielende Mensch. Über das Spiel, so der Historiker, eigne sich der Mensch die Welt an und erschaffe die Kultur.
«Menschen hören nicht auf zu spielen,
Oliver Wendell Holmes (1809–1894), US-amerikanischer Arzt und Essayist
weil sie alt werden, sie werden alt, weil sie aufhören zu spielen!»
Spielen gehört zum Menschsein. Doch erst 1989 hielt die UN-Kinderrechtskonvention fest: «Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf Ruhe und Freizeit an, auf Spiel und altersgemässe aktive Erholung sowie auf freie Teilnahme am
kulturellen und künstlerischen Leben.»
Spielen, das ganze Leben lang
Frei und unbeaufsichtigt spielen zu können, ist für die Lebensqualität und Entwicklungschancen von Kindern von grosser Bedeutung. Kinder spielen jedoch immer weniger draussen, wie eine von Pro Juventute in Auftrag gegebene Studie zeigte. Hatten Kinder in den 1970er-Jahren noch einen Grossteil ihrer Freizeit im Freien verbracht und sich jeden Tag drei bis vier Stunden bewegt, spielten Deutschschweizer Kinder 2016 im Durchschnitt nur noch 32 Minuten täglich ohne Aufsicht im Freien, in der Romandie waren es gar nur 20 Minuten.
«Der Heranwachsende hört also auf zu spielen, er verzichtet scheinbar auf den Lustgewinn, den er aus dem Spiel bezog», schrieb Freud weiter – allerdings lange, bevor es Computer und Handys gab. Wir wissen heute: Werden Kinder älter, hören sie nicht mit Spielen auf, sie geben nur anderen Spielen den Vorzug. 79 Prozent der Jungen und 56 Prozent der Mädchen spielen täglich oder mehrmals pro Woche digitale Spiele, so die Resultate der 2020 veröffentlichten JIM-Studie. Tendenz steigend.
Und die Erwachsenen? Freud war überzeugt, bei ihnen sei die Dichtung wie auch der Tagtraum Fortsetzung und Ersatz des einstigen kindlichen Spielens. Doch wer sich noch an den Flow erinnert, jenes Stillstehen der Zeit, das einem das Spiel in der Kindheit bescherte, wird auch später Spiele nicht missen mögen, selbst in fortgeschrittenem Alter nicht. Kurz: Auch viele Erwachsene spielen noch.
Was gute Spiele ausmacht
Paracelsus’ Satz «Die Dosis macht das Gift allein» lässt sich auch auf Spiele übertragen: auf jene mit Suchtpotenzial. Solche Spiele können zum Zeitfresser werden und einem Energie und Geld rauben. Daher betont der Spielekritiker Synes Ernst, es sei nicht egal, welche Spiele man spiele: «Die Gehirnforschung zeigt nämlich, dass jene Spiele von den Menschen am positivsten erlebt werden, bei denen sie sinnliche Erfahrungen machen können. Ästhetik, Material sind deshalb von vorrangiger Bedeutung, aber auch Spielmechanismen, welche die Teilnehmenden herausfordern, ihnen gleichzeitig aber auch Erfolgserlebnisse bescheren, individuell und als Gruppe.»
Wer über qualitativ wertvolle Spiele für Jung und Alt mehr wissen will, kann sich bei den rund 350 Ludotheken in der Schweiz und Liechtenstein (ludo.ch) beraten lassen. Es muss nicht immer Jass, Tschau Sepp oder Schach sein. Neue Spiele boomen – sowohl traditionelle wie solche, die aufs Handy, Tablet oder auf den Computer geladen werden können. Übrigens: Kennen Sie das (Online-)Spiel des Jahres?
Spiele – für die Gesundheit
Es erstaunt nicht, dass die positiven Eigenschaften des Spielens wiederentdeckt werden – nicht nur von Bereichen wie der Erwachsenenbildung und dem Marketing, sondern auch von der Medizin. 2012 erschien die erste Nummer der medizinischen Zeitschrift «Games for Health Journal». «Serious Games for Health sind Spiele, Softwareanwendungen und Technologien aus der Computer- und Videospielindustrie, die speziell entwickelt werden, um positiv auf den Gesundheitszustand einzuwirken», so Prof. Steffen P. Walz von der RMIT University in Melbourne. «Gesundheitsspiele können in der Therapie unterstützend eingesetzt werden oder spielerisch über Krankheiten aufklären.» Also auch genutzt werden für die Prävention und in der Rehabilitation wie auch für die Weiterbildung und das Training von Fachkräften im Gesundheitsbereich.
Spielformen
Während der ersten sechs Lebensjahre durchläuft das Kind wichtige Entwicklungsprozesse, die durch verschiedene Spielformen angeregt und unterstützt werden. «Jedes Spiel steht in einer Wechselwirkung zur kognitiven Entwicklung des Kindes», so die Heilpädagogin Clara Maria von Oy. Die einzelnen Spielformen können sich zeitlich überschneiden und in ihrer Ausprägung unterscheiden und wie folgt klassifiziert werden:
Funktionsspiel/sensomotorisches Spiel
Früheste Spielform. Säuglinge erforschen erst ihren Körper, dann Gegenstände und erproben Bewegungsmöglichkeiten und Sinneswahrnehmungen.
Symbol-/Illusionsspiel, «So-tun-als-ob-Spiel»
Die Kinder behandeln Dinge, als ob sie etwas anderes wären. Die Vorstellungskraft wird gefördert. Grundlage späterer Rollenspiele.
Konstruktionsspiel
Verschiedene Dinge werden verändert, bearbeitet und etwas Neues daraus konstruiert. Materialverständnis, Fantasie und Planen werden gefördert.
Rollenspiel/Fantasiespiel
Es wird eine soziale Rolle eingenommen, Handlungsabläufe werden nachgeahmt. Andere Perspektiven werden übernommen und sozialen Fertigkeiten geübt.
Regelspiel
Das Kind setzt sich mit Regeln auseinander und versucht, sie einzuhalten. Trainiert wird dabei das Einordnen in die soziale Gemeinschaft.
Bouldern stellt eine Untergruppe des Klettersports dar. Es wird an Felsblöcken (boulder bedeutet Felsblock auf Englisch), am Fuss von Felswänden oder an speziellen Kletterwänden ausgeübt. Zum Bouldern braucht es keine Seilsicherung, da nur so hoch geklettert wird, dass ein Abspringen ohne Verletzungen möglich sein soll.